01 - Der Geist, der mich liebte
Schrittgeschwindigkeit neben mir her. Sie kurbelte sogar das Fenster herunter und versuchte mich zum Einsteigen zu bewegen. Ich schüttelte nur den Kopf und ignorierte sie. Schließlich fuhr sie davon. Ich blieb stehen und wartete, bis ich ihre Rücklichter nicht mehr sehen konnte. Erst dann ging ich weiter.
Ich dachte daran, zu Adrian zurückzugehen. Zwei Dinge hielten mich davon ab: Zu meinem großen Erstaunen war eines davon Tess' Warnung. Das andere war die simple Tatsache, dass ich nach der rasanten Fahrt näher an meinem als an Adrians Haus war. Nicht dass ich das Bedürfnis gehabt hätte, in mein Haus zurückzukehren. Ich schob die Hand in meine Hosentasche und ertastete einen harten Gegenstand. Meinen Autoschlüssel. Ich beschloss, den Wagen zu holen und nach Cedars Creek zu fahren. Dort würde ich mir ein Zimmer für die Nacht suchen. Morgen Früh würde ich weitersehen.
Warum müssen dunkle Fußwege so unheimlich sein? Die Blätter, die bei Tag so farbenprächtig und lebendig wirkten, waren jetzt dunkel und tot. Schwere, schwarze Schatten verschlangen den Weg vor mir. Allmählich bekam ich es mit der Angst zu tun. Jedes Rascheln, jedes noch so kleine Säuseln des Windes ließ mich erschrocken zusammenzucken. Ich erwartete, dass jederzeit Nicholas hinter einem Baum hervortreten und sich mir in den Weg stellen
würde. Jeder Schritt, der mich dem Haus in der Maple Street näher brachte, fiel mir schwerer als der davor. Der bloße Gedanke, ich könne Nicholas erst sehen, wenn es zu spät war, nagte an mir.
Als Tante Fionas Haus in Sicht kam, wurde ich langsamer. Ich hielt mich im Schatten der Bäume und schlich vorsichtig näher. Sobald ich auf dreißig Meter heran war, blieb ich stehen. Ich drückte mich dicht an einen Baumstamm und spähte zum Haus. Dort war alles ruhig. Ich nahm jedes Fenster, jeden Winkel des Vorgartens und der Veranda ins Visier. Suchte nach einem Schatten, einer Bewegung oder Silhouette. Ich hielt nach allem Ausschau, was nur im Entferntesten auf Nicholas' Anwesenheit hindeutete. Da war nichts. Trotzdem wartete ich weiter. Ich wollte ganz sichergehen, dass er sich nicht in den Schatten verbarg und mir auflauerte. Falls er das tat, würde er sich - wenn ich Glück hatte - früher oder später durch eine Bewegung verraten. Vorausgesetzt, ich sah im richtigen Moment an die richtige Stelle.
Es fiel mir noch immer schwer zu glauben, was während der letzten Stunden alles geschehen war. Gestern Nacht hatte er mir noch das Leben gerettet. Er hatte mich geküsst! Heute war er der Feind. Ich krallte meine Finger so fest in die Baumrinde, dass es schmerzte. Trotzdem ließ ich nicht los. Es tat gut, etwas zu haben, an dem ich mich festhalten konnte.
Nachdem ich ungefähr eine halbe Stunde damit verbracht hatte, das Haus zu beobachten, kam ich zu dem Schluss, dass ich es endlich riskieren musste. Andernfalls
würde ich nie den Mut finden und mich noch immer an den Baum klammern, wenn längst die Sonne aufging. Der Gedanke an Tageslicht hatte etwas Beruhigendes. Wie lange würde es noch dauern, bis es hell wurde? Viel zu lange, entschied ich. Es konnte höchstens kurz nach Mitternacht sein.
Endlich löste ich meine inzwischen völlig verkrampften Finger von der Baumrinde und zog den Autoschlüssel aus meiner Hosentasche. Ich nahm ihn so in die Hand, dass ich ihn sowohl als Waffe benutzen als auch sofort den Wagen damit aufschließen konnte. Im ersten Moment kam mir der Gedanke an eine Waffe lächerlich vor. Was sollte ich damit gegen einen Geist ausrichten? Dann wurde mir jedoch bewusst, dass es durchaus Sinn ergab. Solange Nicholas ein Geist war, konnte ich ihn nicht berühren - er mich allerdings auch nicht. Wenn er mich jedoch noch einmal angriff und durch meinen Atem greifbar wurde, konnte ihm eine Waffe möglicherweise doch schaden. Ich umfasste den Schlüssel fester. Sicher war sicher.
Geduckt schlich ich mich an die Garagenauffahrt heran. Ich kam mir vor wie ein Geheimagent. Nur dass hinter mir kein Einsatzkommando auf meinen Befehl wartete, um mir den Hintern zu retten, falls es brenzlig wurde. Wenn ich ein Agent war, dann war ich wohl eher auf jener Art von Mission, bei der die Auftraggeber vorher Dinge sagen wie: »Sie sind auf sich gestellt. Wenn etwas schiefgeht, haben wir nie von Ihnen gehört.«
Agent Sam Mitchell auf ihrer Mission ohne Wiederkehr erreichte das Heck des Käfers und hielt inne. Mit eingezogenem Kopf lauschte ich in die Dunkelheit. Nichts. Lediglich das Säuseln
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