01 - Der Ring der Nibelungen
Freude in seinem Herzen nicht als Lächeln in seine Mundwinkel zu lassen.
Gunther war nicht Giselher, nicht der tumbe Schreihals, den sich Hagen in fünfzehn Jahren willfährig gemacht hatte. Sein Geist war fähig, Ränkespiele zu durchschauen und nach eigenem Gutdünken Entscheidungen zu fällen. Es würde schwerer sein, ihn zu leiten, seine Hand wie seine Zunge zu führen. Doch der wichtigste Schritt war getan -Gunther war bereit, die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Der Stillstand war gebrochen. Und der Stillstand war Hagens größter Feind gewesen. Stillstand war ein stehendes Pferd. Es lief in keine Richtung.
Siegfried war deutlich zu früh zum Balkon geeilt. Es war ihm unmöglich, auf Kriemhild warten zu müssen. Er brannte innerlich, als hätte sein Blut dem heißen Eisen aus seiner Schmiede weichen müssen. Es wunderte ihn ein wenig, dass sie ihn hierher bestellt hatte, denn der Ort war nicht gerade abgeschieden.
Kriemhild erschien, wie es für eine Prinzessin angemessen war, mit etwas Verspätung. In Gedenken an Gundomar war ihr Kleid von tiefem Blau, und die Haare waren zu einem strengen Zopf geflochten. Sie trat auf den Balkon mit beherrschter Würde und verriet weder Hast noch Furchtsamkeit.
Siegfried wollte ihr nahe sein, sie berühren, und trat auf sie zu. Doch Kriemhild hob die Hand und gebot dem Schmied Einhalt. »Es wäre mir recht, wenn du drei Schritte Abstand halten würdest.«
Siegfried verstand nicht, gehorchte aber. Auf dem Herzen der Prinzessin lagen viele Lasten, darum wartete er geduldig, bis sie die Worte fand.
»Betest du, Siegfried?«
Er schüttelte den Kopf. »Die alten Götter scheren sich wenig um Gebete, solange man ihnen im Leben Ehre macht.«
»Ich habe gebetet«, flüsterte Kriemhild. »In jener Nacht, als du in meinem Gemach warst. Ich habe um ein Zeichen gebetet, ob Etzel der Mann ist, den ich heiraten soll. Ob mein Weg Liebe oder Pflicht ist. Ich habe um die Kraft gebetet, das Richtige zu tun.«
»Es war das Richtige«, verkündete Siegfried bestimmt.
Eine einzelne Träne lief über Kriemhilds Wange, als sie ihn ansah. »Weil ich den Sohn Mundzuks vom Hofe wies, musste mein Vater in Fafnirs Klauen sterben - und mein Bruder! Das Land stöhnt immer noch unter dem Schrecken des Lindwurms, und unsere Nachbarn ringsum betrachten Burgund als leichte Beute. Und du meinst, ich hätte richtig gehandelt? Es war töricht und unbedacht und einer Prinzessin nicht würdig!«
Siegfried war überrascht von ihrem Gefühlsausbruch, der nichts mit dem zu tun hatte, was er erwartet hatte. All die Schwüre und Versprechen, die er sich bereitgelegt hatte - sie waren nun zu schal und dumm, um sie noch auszusprechen. »Kriemhild, du kannst dir nicht die Schuld geben an dem, was geschehen ist . . . «
»Ich kann nicht, und der Herr weiß, dass ich es nicht will - aber ich muss. Siegfried, kannst du es denn nicht sehen? Es soll nicht sein. «
Ihre Worte taten ihm im Herzen weh. »Ist deine Liebe zu mir . . . vergangen?«
Sie drehte sich von ihm weg und legte ihre Hände auf die Balkonbrüstung. »Siegfried, meine Liebe zu dir ist das, was mich am Leben hält. Aber sie ist nicht das, was mein Leben bestimmen kann.«
»Wenn die Liebe dich nicht treibt«, wollte Siegfried nun wissen, »was ist es dann?«
»Meine Pflicht!«, rief die Prinzessin in verzweifelter Wut. »So wenig, wie Gundomar und Giselher den Drachen stellen wollten, so wenig, wie Gunther den Thron wollte - so wenig will ich den Herrscher finden, dessen Hand es mir erlaubt, Burgund seine alte Kraft zurückzugeben. Und doch werde ich es tun - weil die Pflicht über dem Glück steht.«
Siegfried straffte sich, von den Worten getroffen, obwohl sie nicht gegen ihn gerichtet waren. »Und um mir das zu sagen, hast du mich hergebeten?«
Sie drehte sich nun wieder zu ihm. »Nein. Wir gaben uns ein Versprechen in einer leichtsinnigen Nacht. Auch wenn ich meinen Teil nicht aussprach, so war er doch nicht weniger aufrecht. Nun hat das Schicksal aber in Tod und Flamme verkündet, dass unser Versprechen nicht sein darf. Mach dein Herz frei von mir, und ich will das Gleiche versuchen.«
Siegfried brauchte nicht nachzudenken oder die Worte abzuwägen. Er ging auf die Knie. »Ein Versprechen in einer leichtsinnigen Nacht wurde gegeben, das ist wahr. Und heute will ich es erneuern. Ich bin nur Siegfried der Schmied, der seine Eltern nie kannte und dem es verwehrt wurde, gegen Fafnir zu ziehen. Ich habe nichts, dem ich in Ehre gedenken
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