01 - Der Ring der Nibelungen
erwählt.«
Siegfried strich sich über die Augen, als erwache er aus einem langen Schlaf. »Es mag so gewesen sein. Lange Jahre waren meine Gedanken nur bei Euch, und Ihr in meinen Träumen.«
»Und was ist dann geschehen?«
Er wollte sein Gewissen erleichtern, ihr die ganze Wahrheit sagen. Aber er fürchtete sich fast so sehr davor wie vor dem Atem des Drachen. »Dann wurde ich ein Mann mit Pflichten. Und einem Schicksal, das mich an Burgund band.«
Brunhilde ging zu einem Fenster, schlug das Fell davor beiseite und atmete die kalte Abendluft ein. »Warum ist er dann hergekommen? Um mich zu demütigen?«
»Nein!«, rief er. »Wenn ich gewusst hätte, dass wirklich Ihr die Königin von Island seid - ich hätte mir den Fuß abgehackt, um eine Ausrede zu haben, Gunther nicht begleiten zu müssen. Aber er ist mein Freund und mein König - wie hätte ich seiner Bitte nicht Folge leisten können?«
Sie sagte nichts, und er ging wieder langsam auf sie zu. »Brunhilde, ist es für Euch so undenkbar, was geschehen soll? Gunther ist ein guter König, ein guter Mann. Er verdient Euch wie Ihr ihn. Das Glück von Generationen hängt daran. Ist es denn leichter, sich weiter hier zu verstecken, als den Herrscher von Burgund zu heiraten?«
Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, als sie antwortete. »Ich kann ihn nicht heiraten.«
»Aber warum denn nicht?«, fragte Siegfried verzweifelt.
Sie drehte sich zu ihm um, und ihre Tränen waren bereits auf der Haut gefroren, als sie schrie. »Ich kann ihn nicht heiraten, weil ich dich liebe!«
Die Macht ihrer Verzweiflung traf ihn wie ein Schlag, und er machte keine Anstalten, ihr zur Seite zu eilen, als sie schluchzend zu Boden sank. »Ich liebe dich, Siegfried. Ich habe versucht, mich davon zu befreien, doch all meine Stärke hat nicht gereicht, dich aus meinem Herzen zu verbannen.«
Er ging in die Knie, hielt aber sorgsam Abstand. »Brunhilde, wenn Ihr wirklich so empfindet, dann kann ich Euch nur bitten, in Liebe hinzunehmen, was nicht zu ändern ist.«
Sie machte nicht einmal Anstalten, sich zusammenzureißen. Der Schmerz vieler Jahre hatte sich endlich Bahn gebrochen. »Bitte mich nicht, ohne Liebe an Gunthers Seite zu leben - und nicht zu sterben, wann immer ich dir bei einem Bankett gegenübersitze.«
»Wenn wir einander begegnen, wird es in Respekt und Freundschaft sein. Euren Namen werde ich ehren, auch wenn ich Euer Herz nicht preisen kann.«
»Und das ist alles, was mir bleibt? Respekt und meinen Namen in Ehre gesprochen?«, schluchzte sie.
Siegfried seufzte. »Gäbe es einen anderen Weg - ich würde alles tun, ihn zu finden. Aber es geht nicht nur um uns. Es geht um Burgund, Xanten, Dänemark und letzten Endes auch um Island. Was soll aus den Reichen werden, wenn ihre Herrscher in Liebeleien ihr Glück vertändeln?«
Brunhilde winkte kraftlos ab, und ihre Stimme war ein Krächzen. »Island war lange vor mir, und es wird lange nach mir sein. Aber Gunther wird die Chance bekommen, um die er bittet. Morgen werde ich ihn auf dem Feld aus Feuer und Eis empfangen.«
Siegfried nickte. »Dafür danke ich Euch.«
Sie sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Danke mir nicht - denn morgen wird sein Freund und König sterben!«
Gernot hatte vergeblich in Siegfrieds Zimmer nach dem künftigen König von Xanten gesucht. Nun streifte er durch die Gänge dieser seltsam düsteren Burg, die kaum von Menschenhand geschaffen schien. Seine Bewohner waren wie Tiere, die sich in einem verlassenen Bau eingenistet hatten, bis der rechtmäßige Besitzer zurückkehrte. Der Prinz hatte viele seltsame und schaurige Geschichten über Island und die heidnischen Rituale der Menschen gehört. Zwischen schwarzem Stein auf kaltem Boden zu wandeln gab den Legenden eher Nahrung, als dass es sie Lügen strafte. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass Elsa sich hier wohl fühlen würde. Ihre Traurigkeit fand ein ideales Echo in der schweren Düsternis dieser Mauern.
Gernot lenkte seine Schritte um eine Ecke, als er Siegfried aus einem bewachten Raum treten sah, sichtlich wütend und verzweifelt. Der Krieger hastete davon, und der Prinz eilte ihm hinterher. »Siegfried!«
Er brauchte eine Weile, um aufzuholen, und in dieser Zeit waren sie dem Portal schon zwei Stockwerke und vier Treppen näher. Gernot hatte Siegfried noch nie so aufgewühlt gesehen. »Was ist geschehen?«
»Meine Vergangenheit scheint meiner Zukunft nicht wohl gesonnen zu sein«, knurrte Siegfried.
Gernot geriet schnell
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