01- Die Normannenbraut
ihrem Vater zu.
***
Ich bin wach, dachte Erin. Aber sie war nicht richtig wach. Offenbar träumte sie. Licht fiel ins Zelt, und in Wirklichkeit müsste es doch dunkel sein. Wäre der Tag angebrochen, hätte Bede sie schon längst geweckt.
Ja, es war ein Traum, denn ringsum sah alles ein wenig verschwommen aus. Sie versuchte, sich aufzusetzen, das gelang ihr auch, aber die Schleier verschwanden nicht. Nun erschien Bede in ihrem Traum. »Ich habe dir das Frühstück gebracht, Erin. Du musst etwas essen.«
Erin gehorchte. Was für ein angenehmer Traum … Sie fühlte sich nicht schwach, aber wie Luft. »Trink den Met, Erin, du musst den Met trinken«, drängte Bede, und Erin griff gehorsam nach dem Becher.
Andere Frauen tauchten neben Bede auf, und Erin lä chelte, weil alle so nett waren. Eine begann, ihr das Haar zu kämmen, ganz sanft und behutsam. Sie selbst brauchte nichts weiter zu tun, als dieses köstliche, nebelhafte Gefühl zu genießen. Die Frauen wuschen sie, kleideten sie in Seide, die ihre Haut zärtlich liebkoste.
Ihr Vater kam ins Zelt, und sie runzelte die Stirn. Eigentlich dürfte er nicht in ihrem schönen Traum vorkommen, denn sie war ihm böse. Doch dann lächelte sie. Sie liebte ihn, also konnte sie ihm gar nicht richtig böse sein, und er musterte sie besorgt … Sie reichte ihm eine Hand, die er ergriff, dann führte er sie aus dem Zelt. »Kann sie reiten?« schien er zu flüstern.
»Ja. Wir bleiben an ihrer Seite.«
Seltsam - wieso bezweifeln sie, dass ich reiten kann, fragte sich Erin, die dem geflüsterten Wortwechsel zwischen ihrem Vater und ihrer Schwester gelauscht hatte. »Natürlich kann ich reiten«, versicherte sie und lächelte wieder. Wie eigenartig ihre Stimme klang …
Das Pferd unter sich spürte sie kaum. Sie glaubte zu schweben.
Der Traum wurde immer fantastischer. Man geleitete sie in einen schönen Saal mit Steinmauern und kunstvollem Schnitzwerk, und da waren Leute, so viele Leute. Alle lächelten sie an, und sie erwiderte das Lächeln. Ein Fest, ein wundervolles Fest … Und alle wirkten so fröhlich.
Man führte sie zum anderen Ende der Halle. Die Hand ihres Vaters glitt davon. Aber das störte sie nicht, denn nun wurden ihre Finger von einer anderen starken, energischen Hand ergriffen. Und Bede war immer noch bei ihr. Ein komischer kleiner Mann, der wie ein Mönch aussah, sagte etwas, und Bede wisperte ihr zu, sie müsse es wiederholen. Erin musste sich sehr bemühen, um nicht zu lachen. Es erheiterte sie maßlos, dass sich ausgerechnet ihre Schwester, eine Nonne, über einen Priester lustig machte.
Offenbar hatte sie die richtigen Worte ausgesprochen, denn plötzlich jubelten alle Leute. Es beglückte sie, ihnen soviel Freude zu machen, dann blickte sie auf die Hand, die ihre festhielt. Eine kraftvolle Hand mit langen, schmalen Fingern, säuberlich geschnittenen Nägeln und feinen Härchen, die Goldfäden glichen. Sie blickte auf, und ihr Lächeln erlosch.
Olaf der Weiße war in ihrem Traum erschienen. Hochgewachsen, mit leuchtend blondem Haar, ehrfurchtgebietend, schön gekleidet … Eine goldene Brosche hielt seinen breiten, wallenden purpurroten Umhang zusammen. Verblüfft starrte er Erin an, dann wurden seine blauen Augen von zorniger Glut verdunkelt. Plötzlich lachte er und erinnerte sie an einen Wolf, der einen Rivalen im Kampf besiegt und in seine Gewalt gebracht hatte und nun seine Beute verhöhnte.
Sie erstarrte vor Entsetzen, aber dann stimmte sie in das Gelächter ein. Es war so komisch. Der Wolf glaubte doch wirklich und wahrhaftig, er könnte sich an ihr rächen. Er wusste nicht, dass alles nur ein Traum war
Er senkte den Kopf und seine Lippen berührten nur ganz leicht die ihren. Dieser zarte Kuss verstärkte das himmlische Gefühl, auf Wolken zu schweben, dann begann ein Festmahl. Köstliches Essen wurde aufgetischt, dazu tranken sie alle erlesene Weine, vom europäischen Festland eingeführt. Tänzer und Gaukler traten auf …
Sobald Olaf sich von seiner Überraschung erholt hatte, verspürte er große Lust, das Mädchen zu erwürgen. Doch dann wurde ihm die ironische Gerechtigkeit der Ereignisse bewusst, und er lachte laut auf. Unglaublich ausgerechnet diese Irin war ihm angetraut worden. Natürlich hätte er sich schon damals im Wald denken können, dass sie von adeligem Geblüt war. Hatte sie nicht irgendetwas von ihrem Vater gefaselt, dem sie ihn ausliefern wollte? Nur eine Prinzessin vermochte, solche Reden zu führen. Das
Weitere Kostenlose Bücher