01- Die Normannenbraut
Gesellschaft zu besuchen. Doch du hast mir die Entscheidung abgenommen.«
Mit bebenden Fingern stellte sie den Kelch auf den Tisch. »Das ist also dein letztes Wort.«
»Möglicherweise.« Seine Stimme klang kühl, aber auch seltsam belegt. »Es hängt davon ab, wie sehr du dir wünschst, deine Familie wiederzusehen.«
Diese Antwort verwirrte Erin. Sie wandte sich zu ihm, und ihre Augen verrieten die Hoffnung, die er in ihr geweckt hatte. »Was meinst du?«
Er antwortete nicht sofort und blickte zur Mitte der Halle, wo eine einzigartig schöne Frau zu tanzen begonnen hatte. Ihre Haut schimmerte wie Honig, die mitternachtsschwarzen mandelförmigen Augen strahlten. Sie trug eine seidene Hose, die wenig verbarg. Anmutig und verführerisch bewegte sie sich im Rhythmus einer Musik, wie Erin sie nie zuvor gehört hatte.
»Diese Frau wollte ich Olaf überlassen«, hörte sie Eric sagen. »Aber er hat das Geschenk zurückgewiesen. Ein solches Vergnügen lehnt ein Mann nur ab, wenn er schönere Schätze besitzt.«
Er lächelte sie an, und ehe sie antworten konnte, setzte er das Gespräch mit dem Norweger an seiner rechten Seite fort. Sie starrte auf ihren unberührten Teller, dann beobachtete sie wieder die Tänzerin. Plötzlich sah sie keinen Grund mehr, noch länger in der Halle auszuharren. Wenn sie jetzt ging, würde Olaf es wahrscheinlich nicht einmal bemerken. Aber als sie aufstehen wollte, fühlte sie seine Hand auf ihrem Arm.
»Versuchst du schon wieder wegzulaufen?« fragte er leise.
»Ich laufe nicht weg«, entgegnete sie würdevoll, »aber ich bin müde und möchte mich in meinem Zimmer ausruhen.«
Langsam zog er seine Hand zurück. »Dann geh nach oben und warte auf mich. Wir haben einiges zu besprechen.«
Nur mit halbem Ohr hörte sie die Stimme ihres Schwagers, der ihr eine gute Nacht wünschte. Sie eilte die Treppe hinauf, schloss ihre Tür hinter sich, lehnte sich kraftlos an das geschnitzte Holz. Die wenigen Worte ihres Mannes hatten genügt, um ihr Blut zu erhitzen, um wieder jene gefährliche Schwäche hervorzurufen. Sie zitterte am ganzen Körper. Wie sollte sie ihm widerstehen? Es musste ihr gelingen - und andererseits ertrug sie den Gedanken nicht, er könnte die exotische Tänzerin oder eine andere Frau aufsuchen. Närrin, schalt sie sich. Sie wusste nicht einmal, wo er schlief, seit er ihr Bett verlassen hatte.
»Was soll ich nur tun?« wisperte sie. In ihrem Widerstand lag die einzige Macht, die sie noch besaß, die einzige Würde, die sie noch aufrechterhalten konnte, solange sie als vermeintliche Verräterin gefangengehalten wurde.
Kapitel 21
Sie starrte zur Mondsichel und den unzähligen funkelnden Sternen hinauf. Kühle Nachtluft wehte durch das offene Fenster herein, aber Erin schloss es nicht, obwohl sie in ihrem dünnen Nachthemd fröstelte. Darauf kam es nicht an. Die Angst jagte ihr noch viel kältere Schauer über den Rücken.
Als die Tür geöffnet wurde, drehte Erin sich nicht um. Sie spürte, dass Olaf sie beobachtete. Welches Spiel mochte er spielen? Falls er sie wieder begehrte, musste er sie mit Gewalt nehmen - das wusste er. Gefährliche Gefühle kämpften in ihr. Einerseits hatte sie beschlossen, Widerstand zu leisten, und andererseits wünschte sie, ihr Mann würde ihn brechen. Dann konnte sie seine Leidenschaft genießen, ohne ihren Stolz zu verlieren.
Leise und gedehnt begann er zu sprechen. »Ich beglückwünsche dich, liebe Gemahlin. Offensichtlich hast du meinen Bruder tief beeindruckt und sein Herz erobert. «
Ohne sich ihm zuzuwenden, zuckte sie die Achseln. »Ich finde Eric sehr höflich und liebenswürdig.«
»Seltsam - wo er doch mit mir verwandt ist … «
Auf diese Bemerkung antwortete sie nicht. »Wäre mir seine Ankunft rechtzeitig mitgeteilt worden, hätte ich alle nötigen Vorbereitungen getroffen, um ihn freundlich zu empfangen. Aber ich wusste nicht einmal von seiner Existenz. «
»Du konntest dir doch denken, dass ich einer Familie angehöre.«
»Davon hast du nichts erwähnt. «
»Und du hast nie danach gefragt.«
Drückendes Schweigen sank herab. Die Kälte der Nacht schien die Gefühle auszudrücken, die zwischen ihnen herrschten. Trotzdem wusste sie, dass sie Olaf nur anzuschauen, brauchte, um von einem wilden Feuer erfasst zu werden. Sie wollte sich nicht umdrehen, dem Blick nicht begegnen, der ihr alle Würde zu rauben, alles zu enthüllen drohte, was sie so verzweifelt in ihrem Inneren verbarg.
»Mach das Fenster zu!« befahl er.
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