01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
Pause.
Mein Blick fiel auf Joshua, der abseits saß und mit Hope so leise spielte, dass er nicht störte. Was ging in ihm vor, wenn ich, seine Mutter, für meine Überzeugung Rede und Antwort stehen musste? Ich gab Mama Bisi ein Zeichen, meinen Sohn fortzubringen. Doch sie schüttelte nur stumm den Kopf.
„Ich will dir mit einer Geschichte antworten, Tochter Choga“, fuhr Mama Ngozi fort. „Meine Mutter hat sie mir schon erzählt, als ich ein Kind war. Der kleine Ulo übertraf seinen Vater bei der Jagd schon in jungen Jahren, denn er verstand die
Sprache der Tiere und überlistete sie. Er erlernte auch die Sprache der Bäume, und als sein Vater eines Tages einen hohen Baum fällen wollte, um daraus ein Haus zu errichten, lief der kleine Ulo schon morgens zu dem alten Baum. Er sagte zu dem Baum: „Mein Vater ist ein wichtiger Mann. Du musst dich vor ihm so tief verneigen, wie du kannst, wenn er zu dir kommt.“ Und so geschah es auch. Der Baum verneigte sich so sehr vor Ulos Vater, dass er entzweibrach und den Vater des kleinen Jungen erschlug.“
Ich sah, wie selbst die Gesichter von Mama Bisi und Mama Ada erstarrten. Alle Anwesenden hatten verstanden. Mama Ngozi hatte mich mit dem kleinen Ulo gleichgesetzt. Mit einem Kind, dessen vorwitzige Schlauheit den Tod des Vaters zur Folge gehabt hatte. Nach Ansicht der allseits geachteten Ngozi tat ich das Gleiche, indem ich mit den Traditionen meines Vaters brach. Und sei es auch nur, weil ich eine Äußerlichkeit wie unsere weiße Kleidung abschaffen wollte. Bisi und ich hatten an diesem Morgen bereits auf unsere Kopftücher verzichtet. Nun bemerkte ich, wie sie sich verlegen übers Haar strich.
Ich wollte etwas erwidern, aber Mama Ngozi hob die Hand. Noch hatte ich zu schweigen, das gebot der Respekt vor der älteren Gefährtin.
„Tochter Choga spricht von Öffnung“, sagte sie. „Ich schlage genau das Gegenteil vor. Wir müssen uns schützen vor dem, was da draußen vorgeht.“
Sie breitete die Arme weit aus. „Lasst uns einen Zaun bauen um den
Compound. Einen hohen Zaun. Besser noch wäre eine Mauer, so wie Papa David sie um den Harem in Lagos gebaut hat. Nur so sind wir sicher. Wir müssen uns schützen vor den Ungläubigen.“
Das war es also! Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Mich hielt nichts mehr auf meinem Platz. Ohne lange nachzudenken, schob ich mich nach vorn und stellte mich neben die kleine Mama Ngozi, in der so viel Kraft wohnte.
„Nein“, rief ich aus, „keine Mauer, kein Zaun! Das brauchen wir nicht! Wir müssen nur lernen, mit den Menschen umzugehen. Sie sind unsere Nachbarn.“ Ich wendete mich meiner Vorrednerin zu.
„Mama Ngozi, wen in Jeba kennst du, der uns feindlich gesinnt ist?“
Sie blickte zu mir auf; in ihren Augen lag eine große Ruhe. „Frage deine Schwestern Efe und Lape, Tochter!“
„Das waren zwei Männer“, widersprach ich, „brauchen wir deshalb eine Festung?“ Ich gab selbst die Antwort: „Zu dem, was geschehen ist, wäre es nicht gekommen, wenn wir uns ausgekannt hätten mit der Welt da draußen. Zu wissen, wie andere denken, und Respekt vor ihrer Einstellung - das ist der beste Schutz vor Feindseligkeit.“
„Du bist jung“, antwortete Mama Ngozi, und in ihrem Ton lag eine abgeklärte Nachsicht, die mich gegen meinen Willen zornig werden ließ. Doch ich hatte mich schon sehr weit vorgewagt. Mein bisheriger Auftritt war dem Alter gegenüber geradezu unverschämt respektlos. Ich brauchte nur Ada und Bisi anzublicken. Meine Ziehmütter hatten vor Scham die Augen gesenkt. Ich räumte den Platz neben Ngozi und setzte mich wieder neben Efe. Wenn mir jetzt niemand beisprang, würde es den verhassten Zaun geben. Niemand würde sich mehr zu uns wagen, um meine Hilfe zu erbitten. Und meine Gefährtinnen wären Gefangene ihres Glaubens.
Mama Ngozi ließ den Blick über die schweigende Schar schweifen. Sie zog ihre Bilanz: „Wir werden also den Bau des Heilhauses stoppen und das Material dazu verwenden, einen stabilen Zaun zu errichten. Schwester Ada, ich gebe das Wort an dich zurück. Teile uns bitte zur Arbeit ein, mit der wir morgen beginnen.“
Zögernd hob Efe die Hand. „Darf ich noch etwas sagen?“ Mama Ada nickte.
„Ich bin gegen einen Zaun“, sagte Efe. „Weil Choga Recht hat. Wenn ich gewusst hätte, dass die Muslime so streng sind ...“
„Schweig, Tochter Efe“, unterbrach Mama Ngozi sie unerbittlich. „Wir glauben an Jesus Christus, Gottes Sohn. Wer ihn verleugnet,
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