01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
waren elegant. Ich faltete sie nicht einmal auseinander.
Mutter hatte sie nur dann getragen, wenn sie zu ihrer Familie nach Deutschland gereist war. Diese Kleidungsstücke waren für mich sehr stark mit der Erinnerung an den Abschiedsschmerz belastet, als trügen sie Flecken, die nicht mehr zu entfernen waren. Ich hatte den Koffer zur Hand genommen, weil ich hoffte, darin wenigstens ein buntes Kopftuch zu finden. Vergeblich.
Sorgsam legte ich alles wieder zurück. Dabei glitt eine gerahmte, etwas verblasste Schwarzweiß-Fotografie heraus. Sie zeigte meine Schwester Magdalena als Zehnjährige mit einem Kranz aus Margeriten im blonden Haar.
Dies Bild hatte stets auf Mutters Nachttisch gestanden. Ich hob es vorsichtig auf und betrachtete es lange. In den Augen des Mädchens lag all die Hoffnung, die eine Zehnjährige nur haben kann. Wohl deshalb hatte ich als Kind immer wieder vor diesem Foto gestanden und mich hineingeträumt in die Welt meiner Halbschwester, die ich erst als 24-Jährige kennen lernen durfte. Diese Begegnung lag inzwischen 14 Monate zurück. Während ich das mir einst so wichtige Bild betrachtete, beschwor meine Erinnerung jenes der 42-jährigen Frau herauf, die ich Ostern 2000 bei der Beerdigung unserer gemeinsamen Mutter getroffen hatte. Vergeblich hatte ich im Blick der Erwachsenen die Hoffnung gesucht und stattdessen Verletzbarkeit gespürt.
Inzwischen hatte Magdalena mir drei lange Briefe aus Deutschland geschrieben; meine knapp bemessene Zeit hatte für zwei Antworten gereicht...
Aus diesen Briefen wusste ich, dass meine deutsche Schwester es ernst meinte mit einem Neubeginn. Sie wollte im Sommer dieses Jahres kommen, um zu versuchen, mit uns zu leben. Ich hoffte inständig, dass sie bleiben würde. Denn in ihr sah ich jenen Teil meiner Mutter, den ich nie richtig kennen lernen konnte: ihre deutsche Vergangenheit. Magdalena hatte sich als junges Mädchen dem Umzug nach Afrika widersetzt. Später hatte sie Mutters Beziehung zu meinem Vater zutiefst abgelehnt. Doch jetzt wollte sie dem afrikanischen Leben unserer Mutter nachspüren und es hielt sie nichts mehr in jenem bayerischen Ort, in dem sie wohnte: Ihre Ehe war geschieden, ihre mittlerweile 20-jährige Tochter Katharina hatte sich während ihres Aufenthalts als Au-pair-Mädchen in den USA in einen Mann verliebt. Magdalena schrieb nichts über diesen Freund, aber es schien etwas sehr Ernstes zu sein.
Seinetwegen wollte Katharina in Amerika bleiben, um dort ein Studium zu beginnen.
Ich nahm das wiedergefundene Foto als Zeichen, dass ich Magdalena endlich antworten müsse, und begann unverzüglich. Zu erzählen hatte ich genug, doch während ich schrieb, wurde mir klar, dass ich eine wesentliche Voraussetzung gar nicht geschaffen hatte, damit sich meine Schwester hier einleben konnte.
Sie wollte unsere Kinder unterrichten. Aber wo? Ich hatte eine Zeit lang vorgehabt, den Flachbau dafür zu benutzen. Dort entstand jedoch nun das Heilhaus. Und wo sollte sie wohnen? Die Zimmer des Farmhauses waren mehr als gut belegt. Die Einzige, die ein Zimmer für sich hatte, war ich. Ich nahm den Raum in Augenschein und platzierte in Gedanken ein zweites Bett darin. Doch auch das musste noch beschafft werden.
Am nächsten Morgen, dem Tag nach unserer aufwühlenden Zusammenkunft, bat ich Bisi, „Mama Chogas Tee“ zu verteilen, und erklärte meiner ebenso wie ich ans frühe Aufstehen gewohnten Patentante, dass ich mich sofort auf den Weg nach Jeba machen wollte.
Sie blickte auf den Koffer in meiner Hand. „Du willst Lisas Sachen verkaufen.“
Bisi seufzte. „Ach, meine Kleine, du machst wirklich alles gründlich. Auch die Abnabelung von deiner Mutter.“
Ich umarmte sie. „Bis heute Abend.“
Vor dem Haus half sie mir, den schweren Koffer auf den Kopf zu wuchten. Ich blickte mich nicht um; ich wusste, dass sie mir nachsah und mich am liebsten festgehalten hätte. Es war kühl, die Sonne verschanzte sich hinter einer dichten, tief hängenden grauen Wolkendecke. Spätestens am Abend würde es Regen geben. Die Felder brauchten ihn dringend. Ich stützte mich auf meinen Feldstock, während ich mit der anderen Hand den Koffer ausbalancierte. Ich hatte mir viel vorgenommen für diesen Tag, von dem ich mir unter anderem die Erkenntnis versprach, ob Mama Ngozi mit ihrer Warnung vor den Muslimen Recht hatte.
Mutters Kleidung zu verkaufen war nicht gerade einfach. Gemächlich lief ich kreuz und quer durch den kleinen Ort und nahm die Atmosphäre in mich
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