01 - Ekstase der Liebe
vier oder fünf Lagen empfindlicher Kleider zerknitterte,
und sah in den Spiegel über der Frisierkommode. Sie zog die Bänder aus ihrem
Haar. »Ich glaube, ich werde etwas völlig anderes versuchen ... vielleicht
sollte ich mein Haar abschneiden!«
»Oh,
Lady Charlotte, ich weiß nicht« sagte Marie und dachte an die schönen
schwarzen, seidenen Locken ihrer Herrin, wie sie vor dem Feuer trockneten.
»Männer mögen langes Haar«, meinte sie und ihre französische Herkunft war nicht
mehr zu verkennen. Maries Eltern waren vor etwa zehn Jahren aus Frankreich
eingewandert, als sie noch ein Mädchen gewesen war, aber sie neigte dazu, in
einen starken französischen Akzent zu verfallen, wenn sie aufgeregt war.
»Kurzes
Haar ... na ja, das ist wirklich sehr neu, nicht wahr? Lady Marion Lamb
hat sich die Haare abgeschnitten, und Pearl Clotswild, die amerikanische Erbin,
und ...« Marie verstummte. Sie las eifrig die illustrierten
Klatschblätter und wusste, dass kurz geschnittenes Haar zu den gewagtesten
Dingen gehörte, die eine Dame tun konnte.
Marie
ging um das Bett und strich Charlotte das schwere, schwarze Haar aus dem
Gesicht. Zusammen blickten sie in den Spiegel über der Frisierkommode,
Maries kleines Gesicht konzentriert, die Unterlippe vorgeschoben . Sie
hielt Charlottes Haar versuchsweise so, dann so.
»Vielleicht«,
meinte sie schließlich.
In der Tat kamen Charlottes Gesichtszüge ohne die Haare viel besser zur
Geltung. In den drei Jahren, seit Marie Charlottes Mädchen geworden war, hatte
ihre Herrin ihr nie mehr als zehn Minuten Zeit gelassen, ihr Haar zu
arrangieren. Deshalb hatte Marie in ihrer Verzweiflung schließlich begonnen,
einfach ein Band einzuflechten, das wenigstens den größten Teil des schweren
Haarschopfs aus Charlottes Gesicht hielt. Aber diese Frisur betonte
Charlottes Augen nicht. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie er staunlich
groß und leicht mandelförmig waren und dass die Wimpern so schwarz waren wie
das Haar.
»Wir
sollten abwarten, was Monsieur sagt«, erklärte Marie. Sie empfand sehr große
Ehrfurcht vor Monsieur Pamplemousse, über den sie die fesselndsten Geschichten
gehört hatte: Er war der Friseur Ludwig des Sechzehnten gewesen, er war
Madame Guillotine nur um Haaresbreite entkommen und dann der Friseur
Josephines, der Geliebten Napoleons, geworden. Natürlich verabscheuten die
Engländer Napoleon, aber Marie behielt sich das Recht auf eine eigene Meinung
vor. Für sie war Josephine ein Vorbild, was weibliche Schönheit und Mode
betraf, und ihr Ehemann war nicht minder von Bedeutung.
»Und
was Madame Brigitte betrifft, Mylady«, sagte Marie ernsthaft. »Haben Sie je
daran gedacht, Antonin Carême aufzusuchen? Madame Brigitte entwirft ausgezeichnete
Kleider für junge Mädchen, aber ...«
»Du
hast natürlich Recht«, sagte Charlotte. Sie war und würde niemals wieder ein >Mädchen< sein.
Sie begegnete
Maries besorgtem Blick mit einem strahlenden Lächeln. »Im Grunde war dieser
mädchenhafte Stil nie besonders gut für mich. Es wird Zeit, dass ich einen
anderen aus probiere. Gestern im Park habe ich eine Frau in einem dieser
Kleider mit hoher Taille und ohne Korsett gesehen. Natürlich war die Dame
selbst wahrscheinlich nicht gerade moralisch einwandfrei, aber
unabhängig davon ist die neue französische Mode wirklich entzückend,
nicht wahr?«
Marie
klatschte in die Hände. »0 ja, Lady Charlotte! Monsieur Carême ist genau der
Richtige. Und«, fügte sie verschmitzt hinzu, »Sie haben genau die Figur, um
kein Korsett zu tragen. Vielleicht sollten Sie ein Kleid in Gold
bestellen! Ich habe oft gedacht, dass Sie in einem Kleid in der Farbe
der Vorhänge des Morgensalons großartig aussehen würden!« Charlotte war einen
Augenblick lang verblüfft, dann lächelte sie .
»Ich werde
nie wieder Rosa tragen«, sagte sie. »Nichts was rosiger ist als ein
Pfirsich. Und«, fügte sie langsamer hinzu »keine Rüschen, keine Schleifen,
keine Volants und aufgestickten Blumen.«
»Absolument,
oui, oui!« Marie
war außer sich.
Charlotte
sah auf und lächelte. »Marie, würdest du jetzt all diese Kleider wegbringen?«
Maries
Augen strahlten. Nicht dass sie selbst diese aus der Mode gekommenen
Kleider tragen würde, aber sie konnte sie für ein schönes Sümmchen verkaufen
(in dem tadellosen Zustand, in dem sie waren!) und sie und Cecil wären ihrer
Hochzeit ein gutes Stück näher.
»Danke,
Mylady«, sagte sie und machte einen anmutigen Knicks. Dann warf sie sich einen
großen
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