01 - Ekstase der Liebe
Hausmädchen schlichen auf Zehenspitzen an Charlottes Atelier im dritten
Stock vorbei und drinnen türmte sich der Staub, weil die Bediensteten nie
wussten, wann sie sie vor ihrer Staffelei antreffen würden. Einmal überraschte
eine Hausmagd, die die Kerzen ersetzen wollte, Charlotte um elf Uhr abends und
wurde mit einer scharfen Bemerkung hinausgeschickt. Seitdem überwachten Mrs
Simpkin und Campion selbst den Fortschritt der Bilder und stimmten den Haushalt
darauf ab.
Daher
nickte Campion verständnisvoll und lächelte seine Herrin an. Er würde sich
zuallererst um die Margeriten kümmern und Ihre Gnaden solle unbesorgt sein,
murmelte er. Danach erinnerte er die Herzogin an ihre Verabredung zu dem Fête
de Champagne. Adelaide eilte leichtfüßig die Treppe hinauf, um sich
anzukleiden. Sie dachte nicht daran, Charlotte zu fragen, und der Herzog war in
seinem Club.
Charlotte
seufzte schwer. Campion glitt lautlos ins Zimmer und entfernte das kaum
angerührte Hühnchen, wobei er ob dieses Anblicks einen eigenen Seufzer
unterdrückte.
Renoir,
der Küchenchef der Calverstills, war an diese Familie verschwendet, absolut
verschwendet. Campion entfernte die Speisen stets selbst und die Teller
gelangten ohne Ausnahme zurück in die Küche, als hätte eine zehnköpfige Familie
sich daran gütlich getan. Er gab sich alle Mühe, Renoir bei Laune zu halten,
und wusste, dass die beiden Lakaien Fred und Cecil (ein lächerlicher Name für
einen Dienstboten), niemals verraten würden, dass auch sie sich an der Duck
à l'Orange des Abends erfreuten.
Charlotte
ging langsam und bedrückt zurück in ihr Schlafgemach. Sie könnte sich ankleiden
und ihrer Mutter auf Lady Bridgeplates Fête folgen, aber das würde
reichlich seltsam aussehen. Und was, wenn ihre Mutter schon auf eine andere
Gesellschaft gegangen war, was durchaus im Bereich des Möglichen lag? Dann
stünde Charlotte ohne Anstandsdame da und das wäre weiß Gott schlecht für ihren
Ruf.
Ihr
Mädchen war unten in der Küche, deshalb riss Charlotte die Türen ihres
Schrankes auf und betrachtete ihre Kleider. Sie hatte in letzter Zeit nicht
viel für ihre Erscheinung getan. Ihr wurde klar, dass sie das zum Teil aus
Groll tat, um ihrer Mutter zu sagen, sie solle sie in Ruhe lassen. Doch jetzt
starrte sie ihre Kleider voller Abneigung an. Sie waren nicht wirklich unmodern
(ihr Mädchen - und nicht nur sie - hätte niemals geduldet, dass sie
etwas wirklich Altmodisches trug), aber sie waren auch nicht der letzte Schrei.
Und schlimmer noch, sie waren in naiven Pastellfarben gehalten, den weichen,
zarten Farben der Unschuld und Jugend.
Und
ich, dachte Charlotte wild entschlossen, bin nicht jung! Warum also sollte ich
mich so kleiden? Sie begann, die Kleider rücksichtslos von ihren Bügeln zu
reißen und aufs Bett zu werfen. Marie, die den Raum einige Minuten später
betrat und nicht damit gerechnet hatte, ihre Herrin hier vorzufinden, war
sprachlos, als sie die Berge von Kleidern auf dem Bett sah und bemerkte, wie
ihre Herrin mit zufriedenem Gesichtsausdruck die vier oder fünf im Schrank
verbliebenen Morgenkleider be trachtete.
»Mon
Dieu!«, stieß
Marie hervor und fragte sich, ob Charlotte verrückt geworden war. Insgeheim
hielt sie sie ohnehin für reichlich seltsam. Womöglich hatte sie jetzt
beschlossen, sich den Nudisten anzuschließen, die nach Amerika auswanderten!
»Marie!«,
sagte Charlotte, ohne sich zu ihr umzudrehen. »Ich habe entschieden, etwas
Neues auszuprobieren. Morgen werde ich zu Madame Brigitte gehen und eine
komplett neue Garderobe in Auftrag geben. Alles, von oben bis unten.«
Marie
begriff sofort, was geschehen war. Ihre Herrin war endlich aufgewacht und hatte
die Wahrheit erkannt: Eine Frau brauchte einen Mann. Das war genau das, was
Marie ihrem Liebsten, dem zweiten Lakai Cecil, immer wieder versichert hatte,
während sie gemütlich in Maries Bett lagen. Campion und Mrs Simpkin, die
Haushälterin, wussten natürlich nichts davon, aber Maries französisches
Feingefühl zwang sie nicht, sich an englische Moralvorstellungen zu halten. Sie
und Cecil konnten erst heiraten, wenn sie genug Geld zusammengespart hatten,
aber bis dahin sah sie keinen Grund, warum sie und Cecil sich das Vergnügen
eines gelegentlichen Zusammenseins versagen sollten.
Maries
Augen leuchteten auf- »Und Ihr Haar, Mylady! Soll ich Monsieur
Pamplemousse kommen lassen?«
»Ja,
Marie, das ist ein sehr guter Vorschlag.« Charlotte setzte sich gedankenlos auf
das Bett, wobei sie
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