01 - Geheimagent Lennet wird ausgebildet
Öffnung.
Vergebens - die Stimme drang mit gleicher Lautstärke durch.
Ohne Zweifel maß eine automatische Vorrichtung die Intensität des Tons in der Kabine und stellte sofort wieder die gewünschte Lautstärke her...
Lennet schlief ein mit Verwünschungen der Schule, des FND, Montferrands, Moriols, aller Mikrofone und Kameras...
Was macht wohl Corinna in diesem Augenblick? fragte er sich noch.
Die Beziehungen der zwei jungen Leute zueinander schwächten sich rasch ab, statt sich zu vertiefen. Lennet und Corinna lächelten im Speisesaal oder im Schulzimmer einander von weitem zu. Sie tauschten ein paar Worte über Briefmarkensammeln, Reiten, romanische Kunst und moderne Tänze miteinander, aber immer in der Öffentlichkeit und stets mit vorsichtiger Zurückhaltung. Sie wußten zu gut, daß die geringste Unachtsamkeit von den Mikrofonen registriert und entweder über die Maschine oder direkt an die Lehrkräfte weitergegeben würde.
Lennet schloß sich immer mehr von den anderen ab, legte sich einen näselnden Ton zu, den er für einen Paul Armand angebracht hielt, mied die gekünstelten Gespräche mit seinen Kameraden und ergab sich leidenschaftlich dem Studium seines künftigen Berufs.
Vom zweiten Tag an begann er ein Notizbuch zu führen, um darin die Regelwidrigkeiten anzumerken, die er am Gebaren seiner Kameraden feststellte. Auf diese Weise hoffte er den »feindlichen Agenten" aufzuspüren.
Am dritten Tag ließ sich die Stimme Montferrands im Lautsprecher vernehmen: »Armand, ich habe den Eindruck, daß Sie schreiben.«
»Ja, Herr Hauptmann, ich würde Ihnen gern die Seite zeigen, aber ich weiß nicht, ob Sie in der Lampe oder im Wasserhahn versteckt sind.«
»Sagen Sie mir, was Sie schreiben...«
»Ich notiere, daß Bertrand Bris behauptet, sich für Jazzmusik zu interessieren. Gestern abend jedoch hat er im Radio die Quiz-Sendung ,Geld oder Leben' angehört. In einem anderen Programm wurde zur gleichen Zeit aber ein hervorragendes Jazz-Konzert gebracht. Ein echter Jazz-Fan hätte sich das sicher nicht entgehen lassen. Und außerdem hat Bertrand Bris mehrmals betont, daß er sich ,Geld oder Leben' schon seit einem halben Jahr regelmäßig anhöre und ganz begeistert davon sei...«
»Glauben Sie", unterbrach ihn Montferrand, »daß Sie dies unbedingt benötigen? Nichts ist schlimmer als Papier. Ihr Gedächtnis ist ungefähr erst zu einem Zehntel seiner Fähigkeit entwickelt. Zwingen Sie es, sich ein bißchen anzustrengen!«
»Ja, Herr Hauptmann.«
Er versuchte es mit List. Alle Schliche, hatte der Oberst gesagt, waren erlaubt. Er begann damit, sich im Aufschlüsseln von Geheimnachrichten zu üben, dachte sich einen Code aus, dessen Dechiffrierung ihm unmöglich schien, ließ sich vom Lagerverwalter eine Flasche mit unsichtbarer Tinte geben und beschloß, seine Notizen in der Nacht, wenn alle Lichter abgeschaltet waren, niederzuschreiben.
Die Fülle seiner Beobachtungen allein im Gedächtnis zu bewahren, schien ihm unmöglich; außerdem waren sie so verwirrend, daß er in bezug auf Widersprüche im Lebenslauf bereits einmal Simon Salzer und Christine Barbier verwechselt hatte.
Am Abend drehte er das Licht ab, ließ sich an seinem Tisch nieder, legte sein neues Notizbuch vor sich hin, entstöpselte die Tintenflasche alles in völliger Finsternis, denn die Nacht war pechschwarz und das Bullauge klein. Er bemühte sich auch, nicht das geringste Geräusch zu erzeugen, das die Mikrofone hätten verzeichnen können. In dieser Hinsicht erleichterte ihm der Lautsprecher, der den Hypnosekurs Nr. 8 über Beobachtungen verdächtiger Personen leiernd zum besten gab, seine Arbeit...
Am nächsten Vormittag berief ihn Montferrand nach der Judo-Stunde in das Konferenzzimmer.
»Zeigen Sie mir, was Sie heute gelernt haben. Drauflos, keine Angst! Haben Sie keine Hemmungen, meiner Prothese weh zu tun!«
Sie wechselten einige Griffe.
Mittags entdeckte Lennet den Verlust seines Notizbuchs. Ich hatte es doch in der Innentasche meiner Jacke... überlegte er.
Als er am Abend seine Kabine betrat, fand er drei Gegenstände auf dem Tisch: das verlorene Notizbuch, ein Foto, das ihn schreibend an seinem Tisch zeigte, und einen Zettel mit folgenden Ratschlägen:
»Vergessen Sie nicht, daß man mit Hilfe von Infrarotlicht mitten in der Nacht Aufnahmen machen kann, ohne daß das fotografierte Objekt eine Belichtung spürt.
Benützen Sie nie einen Code, der binnen 30 Sekunden dechiffriert werden kann, und auch keine
Weitere Kostenlose Bücher