01 - Gnadenlos
Schrotflinte zum Opfer gefallen. »Aber wir haben die Mordwaffe und die Weinflasche, und auf einem oder beiden werden wir wohl Fingerabdrücke finden. Wer dieser Kerl auch gewesen sein mag, besonders vorsichtig hat er sich nicht gerade angestellt.«
»Ein Penner als Kämpfer für Recht und Ordnung, Em?« frotzelte Douglas. »Wer diesen Lumpen umgelegt hat -«
»Ja, ja, ich weiß schon, was du sagen willst.« Aber wer und was zum Teufel war es dann?
Dem Himmel sei Dank für die Handschuhe, dachte Kelly, als er die Schrammen auf seiner rechten Hand betrachtete. Er hatte sich von seiner Wut überwältigen lassen, und das war nicht gerade klug gewesen. Während er den Vorfall in Gedanken noch einmal durchspielte, erkannte er, daß er vor einer schwierigen Entscheidung gestanden hatte. Wenn er tatenlos zugesehen hätte, wie die Frau schwer verletzt oder ermordet wurde, wenn er einfach in sein Auto gestiegen und fortgefahren wäre, hätte er sich das nie verzeihen können. Bei dieser Vorstellung entfuhr ihm ein entrüstetes Schnauben. Jetzt war er ein Mordverdächtiger. Besser gesagt: Der Mordverdächtige war ein gewisser Mr. Unbekannt. Nach seiner Heimkehr hatte er sich noch mit Perücke und in der kompletten Verkleidung vor den Spiegel gestellt. Der Mann, den die Frau gesehen hatte, war nicht John Kelly, nicht mit diesem vom Bart überschatteten, schmutzverkrusteten Gesicht unter der struppigen Langhaarperücke. Seine vorgebeugte Haltung ließ ihn mehrere Zentimeter kleiner wirken, als er war. Und das Licht der Straßenlampe war auch nicht gerade das beste gewesen. Und ihr war mehr als an allem anderen daran gelegen gewesen, fortzukommen. Trotzdem, er hatte die Weinflasche zurückgelassen. Er wußte noch, wie er sie fallen ließ, um den Angriff mit dem Messer abzuwehren, und dann hatte er in der Hitze des Gefechts vergessen, sie mitzunehmen. Dummkopf, hielt Kelly sich vor.
Was konnte die Polizei schon wissen? Die Personenbeschreibung war sicher nicht besonders genau. Er hatte Gummihandschuhe getragen, und obwohl sie ihn nicht gegen die Handverletzung hatten schützen können, waren sie weder gerissen, noch hatte er Blut verloren. Doch vor allem hatte er die Weinflasche nie ohne Handschuhe angefaßt. Das wußte er deshalb so genau, weil er sich schon zu Anfang fest vorgenommen hatte, in dieser Hinsicht kein Risiko einzugehen. Also wußte die Polizei lediglich, daß der Kleingangster von einem Penner umgebracht worden war. Doch davon gab es viele, und er brauchte nur noch eine einzige Nacht. Allerdings mußte er seine Vorgehensweise ändern, und sein Einsatz heute nacht würde gefährlicher sein als zuvor. Aber seine Informationen über Billy waren einfach zu gut, als daß er sie ignorieren konnte, und dieser kleine Schweinehund war womöglich klug genug, um seine eigene Vorgehensweise zu ändern. Und wenn er sich nun ein anderes Haus suchte, um sein Geld zu zählen, oder ein bestimmtes immer nur für ein paar Nächte benutzte? Wenn dem so war, würde jedes Hinauszögern um ein oder zwei Nächte Kellys gesamte Aufklärungsarbeit hinfällig machen. Kelly wäre gezwungen, wieder ganz von vorn anzufangen, mit einer neuen Verkleidung - wenn er überhaupt eine ähnlich wirkungsvolle finden konnte, was nicht sehr wahrscheinlich war. Kelly hielt sich vor Augen, daß er sechs Menschen hatte töten müssen, um so weit zu kommen - der siebte war ein Fehler und durfte nicht mitgezählt werden... abgesehen von dieser Frau, wer sie auch sein mochte. Er seufzte tief auf. Wenn er zugesehen hätte, wie sie verwundet oder ermordet wurde, hätte er sich dann noch in die Augen sehen können? Er mußte sich einfach sagen, daß er in einer schlimmen Situation immer noch das Bestmögliche getan hatte. Vor Mißgeschicken war man nie gefeit. Sein Risiko war größer geworden, doch seine einzige Sorge betraf das Gelingen seiner Mission und nicht etwa die Gefahr, in der er selber schwebte. Er durfte jetzt nicht mehr länger darüber nachgrübeln. Er hatte schließlich noch andere Verpflichtungen. Kelly nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.
»Greer.«
»Clark«, antwortete Kelly. Das machte wenigstens noch Spaß.
»Sie sind spät dran«, erklärte ihm der Admiral. Ursprüng lich hatte Kelly vormittags anrufen sollen, und jetzt verkrampfte sich sein Magen bei der Zurechtweisung. »Ist nicht schlimm, ich bin auch gerade erst zurückgekommen. Wir brauchen Sie demnächst. Es hat angefangen.«
Das geht aber schnell, dachte Kelly.
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