01 - Gnadenlos
erregt. Wie Henderson gab es viele Politiker, die den Krieg gern beendet hätten, doch leider fand sich dafür keine breite kritische Öffentlichkeit. Sein eigener Senator, Robert Donaldson, zauderte nach wie vor. Allgemein hielt man ihn für einen vernünftigen und bedachten Politiker, doch Henderson fand ihn schlichtweg unentschlossen, weil er alles tatsächlich immer wieder von allen Seiten überdachte, nur um sich dann doch der breiten Masse anzupassen, als ob er sich keinen einzigen Gedanken zu der Sache gemacht hätte. Es mußte doch einen besseren Weg geben. Henderson steuerte ihn an, indem er seinem Senator vorsichtig Vorschläge unterbreitete, die Dinge in einem etwas anderen Licht darstellte und sich in aller Ruhe sein Vertrauen erwarb. Irgendwann, so hoffte er, würde Donaldson ihm Dinge anvertrauen, die er niemandem erzählen durfte. Aber das war das gefährliche an Geheimnissen - irgend jemandem mußte man sie erzählen, dachte Henderson auf dem Weg zur Tür.
Henderson nahm den Bus zur Arbeit. In der Nähe des Kapitols einen Parkplatz zu finden war praktisch unmöglich, und der Bus fuhr fast von Haus zu Haus. Er suchte sich einen Sitzplatz in der letzten Reihe, wo er in Ruhe Zeitung lesen konnte. Zwei Haltestellen weiter setzte sich ein Mann neben ihn.
»Wie war's in London?« fragte er beiläufig, aber so leise, daß man ihn über dem Motorengeräusch kaum verstehen konnte. Henderson blickte ihn kurz an. Er hatte den Mann noch nie gesehen. Waren sie wirklich so gut organisiert?
»Ich habe dort eine interessante Bekanntschaft gemacht«, sagte Peter vorsichtig.
»Ein Freund von mir wohnt in London. Er heißt George.« Keine Spur von Akzent, und sobald der Kontakt hergestellt war, widmete sich der Mann den Sportseiten der Washington Post. »Ich glaube, dieses Jahr schaffen es die Senators nicht mehr.«
»George sagte, er hätte hier... in der Stadt einen Freund.«
Der Mann lächelte über seiner Schlagzeile. »Ich heiße Marvin.«
»Wie können wir... wie machen wir es...?«
»Haben Sie heute abend schon was vor?« fragte Marvin.
»Nichts Besonderes. Wollen Sie zu mir kommen?«
»Nein, Peter, das wäre unklug. Kennen Sie ein Restaurant namens Alberto's?«
»Ja, in der Wisconsin Avenue.«
»Halb acht«, sagte Marvin. Er stand auf und stieg an der nächsten Haltestelle aus.
Der letzte Abschnitt begann am Luftwaffenstützpunkt Jakoda. Nach einer erneuten Wartungspause von zweieinviertel Stunden rollte die Starlifter über die Startbahn und schwang sich wieder in die Lüfte. Allmählich wurde den Marines bewußt, was ihnen bevorstand. Sie versuchten zu schlafen, denn das war die einzige Möglichkeit, mit der Spannung fertig zu werden, die im gleichen Verhältnis zunahm, wie sie sich ihrem Ziel näherten. Jetzt sah alles anders aus. Jetzt war das Ganze mehr als nur Training, und sie paßten sich in ihrem Verhalten der neuen Wirklichkeit an. Auf einem anderen Flug, mit einer kommerziellen Fluglinie, wo man sich hätte unterhalten können, hätten sie sich Witze erzählt, sich mit ihren Eroberungen gebrüstet, von zu Hause, ihren Familien und ihren Plänen gesprochen. Doch da dies in dem Lärm der C-141 nicht möglich war, beschränkten sie sich auf ein ermutigendes Lächeln unter verhangenem Blick. Sie waren allein mit ihren Gedanken und Ängsten, die sie eigentlich miteinander hätten teilen müssen, doch in dem Lärm des Frachtraums der Starlifter ging das nicht. Viele von ihnen machten Gymnastik, um den Streß abzubauen und um müde zu werden für den erlösenden Schlaf. Allein mit seinen Gedanken, die noch komplexer waren als die der anderen, sah Kelly ihnen zu.
Es ist ein Rettungseinsatz, sagte er sich. Mit Pams Rettung war alles ins Rollen gekommen, und an ihrem Tod war allein er schuld. Dann hatte er aus Rache getötet und sich selbst eingeredet, daß es in ihrem Angedenken und um seiner Liebe willen geschah. Aber entsprach das auch der Wahrheit? Konnte aus dem Tod eines anderen etwas Gutes erwachsen? Er hatte einen Mann gefoltert, und nun mußte er sich eingestehen, daß er aus Billys Schmerzen Befriedigung gezogen hatte. Wie würde Sandy reagieren, wenn sie das erfuhr? Was würde sie von ihm denken? Plötzlich war ihm wichtig, was sie von ihm hielt. Sie, die sich so eingesetzt hatte, um das Mädchen zu retten, die sie behütet und seine eher leichte Rettungsaktion zum Abschluß gebracht hatte. Was würde sie von jemandem denken, der Billys Körper Zelle für Zelle auseinandergerissen
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