01 - Gnadenlos
Hendersons Drink auftauchte. »Ich nehme den roten Hauswein«, erklärte er dann dem Mexikaner.
»Si«, sagte der Kellner, bevor er wieder ging.
Marvin mußte ein Illegaler sein, dachte Peter, während er den Mann abschätzend musterte. Als Mitarbeiter eines Angehörigen des Kongreßausschusses für Geheimdienst und Spionage hatte Henderson an einer Schulung des FBI teilgenommen.
»Legale« KGB-Offiziere arbeiteten unter der Deckung ihrer Botschaft, mit Diplomatenpapieren, und wenn sie aufflogen, konnten sie lediglich zur persona non grata erklärt und nach Hause geschickt werden. Auf diese Weise blieben ihnen die unangenehmen Schikanen durch die amerikanische Regierung erspart, sie waren dafür aber auch leichter aufzuspüren, da man ihren Wohnort und ihre Autokennzeichen kannte. Was illegale oder eingeschleuste Agenten waren, ließ sich schon aus ihrer Bezeichnung ableiten, nämlich sowjetische Offiziere, die mit falschen Papieren ins Land geschmuggelt wurden. Wenn man sie schnappte, kamen sie in ein staatliches Gefängnis, wo sie dann - oft jahrelang - auf ihren Austausch warteten. Diese Tatsache erklärte Marvins ausgezeichnetes Englisch. Ein einziger Fehler konnte ernste Konsequenzen haben. Um so bewundernswerter war sein lässiges Auftreten.
»Sie sind wohl Baseballfan?«
»Hab es früher selbst mal gespielt. Ich war ein ziemlich guter Shortstop, aber mit den wirklich schwierigen Bällen bin ich nie zurechtgekommen.« Marvin lächelte. Henderson ebenfalls. Er kannte die Satellitenfotos von dieser interessanten kleinen Stadt nordwestlich von Moskau, wo Männer wie Marvin ihr Handwerk lernten.
»Wie gehen wir vor?«
»Prima, das gefällt mir. Kommen wir zum geschäftlichen Teil. So was wie heute können wir uns nicht oft leisten. Sie wissen ja wohl, warum.«
Ein weiteres Lächeln. »Ja, es heißt, der Winter in Leavenworth ist die Hölle.«
»Ich mache keinen Spaß, Peter«, sagte der KGB-Offizier. »Das ist eine ernste Angelegenheit!« Bitte, nicht wieder so ein Cowboy, dachte er dabei.
»Ich weiß. Tut mir leid«, entschuldigte sich Henderson. »Ich bin noch neu im Geschäft.«
»Zuerst einmal müssen wir festlegen, wie Sie mit mir in Kontakt treten. Die Fenster Ihrer Wohnung haben zur Straßenseite Vorhänge, nicht wahr? Wenn Sie ganz auf- oder zugezogen sind, haben Sie nichts, was uns interessieren könnte. Wenn doch, dann ziehen Sie sie zur Hälfte zu. Ich kontrolliere Ihre Fenster zweimal die Woche. Dienstags und freitags morgens gegen neun. Läßt sich das machen?«
»Ja, Marvin.«
»Zu Beginn beschränken wir uns auf eine einfache Übergabe, Peter. Ich parke mein Auto in einer Straße in Ihrer Nachbarschaft. Es ist ein dunkelblauer Plymouth mit dem Kennzeichen HVR-309. Wiederholen Sie die Nummer! Sie dürfen sie auf keinen Fall aufschreiben.«
»HVR-309.«
»Ihre Botschaften verstauen Sie darin.« Unter dem Tisch drückte er Henderson einen kleinen Gegenstand aus Metall in die Hand. »Bringen sie den nicht in die Nähe Ihrer Uhr. Darin befindet sich nämlich ein starker Magnet. Wenn Sie an meinem Auto vorbeigehen, können Sie sich nach einem Stück Papier bücken oder den Fuß auf die Stoßstange stellen und sich den Schuh zubinden. Klemmen Sie den Behälter dann einfach an die Innenseite der Stoßstange. Der Magnet sorgt dafür, daß er an Ort und Stelle bleibt.«
Henderson kam die Methode sehr raffiniert vor, obwohl sich alles Gesagte wie Spionage für Anfänger anhörte. Im Sommer ließ sich das machen, doch für den Winter mußten sie sich etwas anderes ausdenken. Der Kellner kam mit der Speisekarte, und beide Männer entschieden sich für Kalbfleisch.
»Ich habe etwas, was Sie interessieren könnte«, sagte Henderson zu dem KGB-Offizier. Damit er ein für allemal begreift, wie wichtig ich bin.
Marvin, der mit richtigem Namen Iwan Alexejewitsch Jegorow hieß, hatte eine feste Anstellung und alles, was dazugehörte. Als Vertreter für Schadensbegrenzung bei der Aetna Unfall- und Haftpflichtversicherung hatte er in der firmeneigenen Schulung an der Farmington Avenue in Hartford, Connecticut, teilgenommen, bevor er der Zweigstelle in Washington zugeteilt wurde. Seine Aufgabe bestand darin, bei den zahlreichen Kunden des Unternehmens Sicherheitsprobleme festzustellen. Neben der zwangsläufigen Mobilität - der Wagen wurde von der Firma gestellt - brachte die Position den unerwarteten Vorzug mit sich, daß er die Büros namhafter Betriebe besuchen mußte, die Regierungsaufträge
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