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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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aufbrachten, mit offenen Armen empfangen werden.
    Vater und Tochter saßen nebeneinander auf dem alten blauen Sofa, Meyer zu ihrer Linken in einem Sessel. Auf dem niedrigen Tisch standen drei Tassen Tee. Zu einem solchen Anlaß war Tee immer das richtige Getränk.
    »Du schaust überraschend gut aus, Doris.« Er lächelte und vertuschte damit sein großes Verlangen, dem Mädchen die Befangenheit zu nehmen.
    »Danke sehr, Pastor.«
    »Es ist eine harte Zeit gewesen, nicht wahr?«
    Ihre Stimme wurde brüchig. »Ja.«
    »Doris, wir alle machen Fehler. Gott hat uns unvollkommen geschaffen. Du mußt das akzeptieren und versuchen, es immer wieder besser zu machen. Wir haben nicht immer Erfolg damit - aber du hast es geschafft. Du bist wieder hier. Das Schlimmste hast du hinter dir, und mit etwas Anstrengung kannst du es für immer hinter dir lassen.«
    »Das werde ich«, sagte sie entschlossen. »Das werde ich wirklich. So schlimme Dinge, die ich gesehen... und getan habe.«
    Meyer war nicht leicht zu schockieren. Geistliche müssen sich von Berufs wegen Geschichten über die Hölle auf Erden anhören, weil Sünder keine Vergebung erlangen können, bevor sie nicht sich selbst verzeihen können, und diese Aufgabe erforderte immer ein geneigtes Ohr und eine beruhigende Stimme voller Liebe und Einsicht. Doch was er nun hörte, schockierte ihn doch. Er versuchte, sich innerlich zu wappnen. Vor allem versuchte er sich daran zu gemahnen, daß sein schwer geprüftes Gemeindemitglied bereits hinter sich hatte, was er nun zu hören bekam. Er erfuhr im Verlauf der nächsten zwanzig Minuten Dinge, die selbst er sich nicht hatte träumen lassen, Dinge aus einer anderen Zeit, seiner Dienstzeit als junger Militärkapitän in Europa. In der Schöpfung steckte der Teufel, darauf hatte sein Glaube ihn vorbereitet, aber Luzifers Antlitz war nicht gut für die ungeschützten Augen der Menschen - schon gar nicht für die Augen eines jungen Mädchens, das in einem zarten und verletzlichen Alter von einem wütenden Vater zu Unrecht aus dem Haus gejagt worden war.
    Es wurde immer schlimmer. Prostitution allein war schon erschreckend genug. Der Schaden, den ein solches Leben bei jungen Frauen anrichtete, konnte ein Leben lang bleiben, und mit Erleichterung nahm er zur Kenntnis, daß Doris bei Dr. Bryant in Behandlung war, einer wunderbar begabten Ärztin, an die er schon zwei Mitglieder seiner Gemeinde verwiesen hatte. Viele Minuten lang teilte er Doris' Schmerz und Scham, während ihr Vater tapfer ihre Hand hielt und gegen die eigenen Tränen ankämpfte.
    Dann kamen Drogen zur Sprache, erst ihr Gebrauch, dann ihre Vermittlung an andere, böse Menschen. Sie bewahrte wenn auch zitternd - ihre Ehrlichkeit. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie sich einer Vergangenheit stellte, die die stärksten Herzen verzagen ließ. Dann kam die lange Erzählung von dem sexuellen Mißbrauch und schließlich das Schlimmste von allem.
    Pastor Meyer stand es lebhaft vor Augen. Doris schien sich an alles zu erinnern - wie konnte es auch anders sein. Dr. Bryant würde alle ihre Fähigkeiten einsetzen müssen, um dieses Entsetzen in die Vergangenheit zu verbannen. Doris erzählte ihre Geschichte wie einen Spielfilm, sie ließ offensichtlich nichts aus. Es war gesund, alles auf diese Art offenzulegen. Gesund für Doris. Sogar heilsam für ihren Vater. Doch Charles Meyer bekam notwendigerweise all das Entsetzen aufgebürdet, das andere abzuschütteln versuchten. Einige Unschuldige hatten ihr Leben gelassen. Zwei Mädchen, nicht viel anders als jenes vor ihm, waren auf eine Art ermordet worden, die nur Verdammnis verdiente, sagte sich der Pastor mit einer Mischung aus Trauer und Zorn.
    »Daß du so nett zu Pam gewesen bist, mein Kind, ist eins der mutigsten Dinge, die ich je gehört habe«, sagte der Pastor leise, nachdem sie alles gebeichtet hatte, und war selbst den Tränen nahe. »Das war gut, Doris. Da hat Gott durch deine Hände gewirkt und dir gezeigt, was für einen guten Charakter du hast.«
    »Ja, glauben Sie?« fragte Doris und brach in unbeherrschtes Weinen aus.
    Da mußte er etwas tun, und so kniete er sich vor Vater und Tochter hin und ergriff ihre Hände. »Gott ist dir erschienen und hat dich gerettet, Doris. Dein Vater und ich haben für diesen Augenblick gebetet. Du bist zurückgekehrt und wirst nie wieder etwas Derartiges tun.« Pastor Meyer konnte nicht wissen, was ihm nicht berichtet worden war, eben das, was Doris bewußt ausgelassen

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