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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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aufsperren und von der Zentralregistratur die richtigen Dokumente herschicken lassen, was am Wochenende auch länger als gewöhnlich dauerte. Seit dem lästigen Anruf, der alles in Gang gesetzt hatte, bis zu dem Punkt, wo er das verdammte Zeug in die Hände bekam, waren zwei Stunden verstrichen. Der Oberst quittierte den Empfang der Dokumente und sah der Büroangestellten beim Hinausgehen nach.
    »Bloody hell«, sagte der Oberst auf englisch, als er endlich in seinem Büro im vierten Stock allein war. CASSIUS hatte also einen Freund im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses? Kein Wunder, daß einige seiner Informationen so gut gewesen waren - gut genug, daß sich Georgij Borissowitsch gezwungen gesehen hatte, nach London zu fliegen, um die Anwerbung zum Abschluß zu bringen. Der leitende KGB-Offizier mußte sich tadeln. CASSIUS hatte diese eine Information als As im Ärmel behalten, vielleicht in dem Wissen, daß er seinem verantwortlichen Kontrolloffizier damit einen Knüller liefern würde. Sein Führungsoffizier, Hauptmann Jegorow, hatte sich zum Glück nichts anmerken lassen und das erste Kontaktgespräch in allen Einzelheiten beschrieben.
    »Boxwood Green«, sagte Glasow. Bloß ein Codename für das Unternehmen, aufs Geratewohl gewählt, wie es die Amerikaner taten. Die nächste Frage war, ob er die Angaben an die Vietnamesen weiterleiten sollte oder nicht. Das wäre eine politische Entscheidung und eine, die schnell gefällt werden mußte. Der Oberst hob den Hörer ab und wählte die Nummer seines unmittelbaren Vorgesetzten, der auch zu Hause war und auf der Stelle miese Laune hatte.
    Der Sonnenaufgang war eine zweideutige Angelegenheit. Die Wolken wechselten in der Farbe lediglich von Schiefergrau zu Rauchgrau, als die Sonne irgendwo weit oben ihre Anwesenheit bekanntgab; sie würde hier erst wieder scheinen, wenn die Tiefdruckzone nördlich nach China abgewandert war - das hatte zumindest der Wetterbericht vorausgesagt. Kelly sah auf die Uhr, prägte sich zu jedem Zeitpunkt alles ein. Die Wachmannschaft bestand aus vierundvierzig Männern plus vier Offizieren - vielleicht noch ein oder zwei Köche. Alle außer den acht, die im Turm Dienst geschoben hatten, reihten sich nach Tagesanbruch zur Gymnastik auf. Viele hatten Schwierigkeiten, ihre Morgenübungen durchzuführen, und einer der Offiziere, den Schulterstücken nach ein Oberleutnant ging am Stock - er hatte wahrscheinlich noch dazu einen kaputten Arm, so wie er mit dem Ding umging. Was hat dich denn erwischt? fragte sich Kelly. Diese verkrüppelte und schlechtgelaunte niedere Charge schritt die Reihen der Soldaten ab und fluchte in einer Weise auf sie ein, die monatelange Übung verriet. Durchs Fernglas sah sich Kelly die Mienen an, die hinter dem Rücken des Schinders geschnitten wurden. Das verlieh der NVA-Wachmannschaft auf einmal etwas Menschliches, was Kelly überhaupt nicht paßte.
    Der Frühsport dauerte eine halbe Stunde. Danach begaben sich die Soldaten in bewußt lässiger und unmilitärischer Art zu ihrer morgendlichen Abfütterung. Die Posten auf den Wachtürmen schauten die meiste Zeit nach innen, ganz wie erwartet, und stützten sich oft auf die Ellenbogen. Ihre Waffen waren wahrscheinlich nicht geladen, eine vernünftige Sicherheitsvorkehrung, die sich entweder in dieser oder der nächsten Nacht (je nach Wetter) gegen sie auswirken würde. Kelly überprüfte ein weiteres Mal seine Umgebung. Er durfte sich nicht ausschließlich auf das Zielobjekt fixieren. Von der Stelle bewegen würde er sich nicht, nicht einmal im grauen Tageslicht das mit dem Morgen heraufgedämmert war, aber er konnte den Kopf drehen, um zu spähen und zu lauschen. Sich die Abfolge der Vogelrufe einprägen, sich damit vertraut machen, so daß ihm jede Änderung sofort auffallen würde. Er hatte ein grünes Tuch über die Mündung seiner Waffe geworfen und trug einen Schlapphut, um den Umriß seines Kopfes im Gebüsch aufzulösen, dazu war sein Gesicht von Tarnfarbe verschmiert; alles zusammen machte ihn so gut wie unsichtbar, ließ ihn mit dieser warmen und feuchten Umgebung verwachsen. Warum kämpfen die Leute eigentlich um dieses dämliche Land? fragte er sich. Er spürte bereits Ungeziefer auf seiner Haut. Die schlimmsten wurden durch das geruchlose Abwehrmittel abgeschreckt, das er versprüht hatte. Aber eben nicht alle, und das Gefühl, daß etwas an ihm herumkrabbelte, verband sich unangenehm mit dem Wissen, daß er keine rasche Bewegung machen durfte. An

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