01 - Gnadenlos
Maxwell.
»Er wird nach einer Stelle Ausschau halten, wo der Helikopter ihn aufnehmen kann. Schauen wir mal auf die Karte.«
Wäre ihm Zeit zum Nachdenken geblieben, hätte Kelly vielleicht darüber sinniert, wie schnell sich Gut in Böse verwandeln konnte. Aber das ging jetzt nicht. Überleben war ein Spiel, das allen Einsatz forderte, und derzeit war weit und breit nichts anderes geboten. Auf jeden Fall würde es nicht langweilig und mit etwas Glück auch nicht zu strapaziös werden. So viele Soldaten zum Absichern des Lagers gegen einen Überfall waren noch nicht da, sie genügten - noch nicht, um effektive Abwehreinheiten auszuschicken. Wenn sie Angst vor einem zweiten Einsatz im Stil von Song Tay hatten, dann würden sie ihre Feuerkraft in der Nähe behalten. Sie würden Spähposten auf die Hügel verlegen und wohl einstweilen nichts weiter unternehmen. Die Spitze des Schlangenhügels lag nun schon fünfhundert Meter hinter ihm. Kelly verlangsamte den Abstieg, damit er wieder zu Atem kam - er war eher atemlos vor Angst als wegen der Anstrengung, obwohl beide Faktoren heftig um die Vorherrschaft stritten. Er kam zu einem weiteren Hügelrücken und ruhte sich auf der rückwärtigen Seite aus. Während er so verharrte, konnte er hinter sich Worte hören - Reden, aber keine Bewegung. Nun gut, die taktische Situation hatte er richtig eingeschätzt. Wahrscheinlich würde bald eine Truppenverstärkung eintreffen, doch dann wäre er schon über alle Berge.
Wenn sie den Hubschrauber herbringen können.
Ein angenehmer Gedanke.
Ich war schon tiefer in der Klemme, verkündete die innere Auflehnung.
Wann? erkundigte sich der Pessimismus vorsichtig.
Im Augenblick war es das sinnvollste, soviel Abstand wie möglich zwischen sich und die NVA zu legen. Dann erhob sich die Notwendigkeit, etwas zu finden, was einem Landeplatz gleichkam, damit er schleunigst von hier verduften konnte. Es bestand noch kein Anlaß, in Panik zu geraten, aber herumtrödeln konnte er auch nicht. Bis Tagesanbruch könnten weitere Truppen eintreffen, und wenn deren Kommandant seine Sache verstand, dann würde er wissen wollen, ob sich auf seinem Gelände ein feindlicher Spähtrupp befand. Wenn Kelly es nicht schaffte, vor der Morgendämmerung von hier wegzukommen, würden seine Chancen, je wieder dieses Land zu verlassen, spürbar sinken. Beweg dich. Finde eine gute Stelle. Ruf den Helikopter her. Schau, daß du schleunigst von hier wegkommst. Bis Tagesanbruch hatte er noch vier Stunden Zeit. Der Hubschrauber würde etwa dreißig Minuten bis hierher brauchen. Kelly blieben schätzungsweise zwei bis drei Stunden,, um eine passende Stelle zu finden und die Funkmeldung durchzugeben. Das erschien nicht überaus schwierig. Kelly kannte das Gebiet von SENDER GREEN ja durch die Aufklärungsfotos. Er nahm sich ein paar Minuten Zeit, um sich umzusehen und zu orientieren. Der schnellste Weg zu einer offenen Stelle verlief dort über die Straßenbiegung. Das war ein Wagnis, das den Einsatz lohnte. Er rückte sein Gepäck zurecht und verlegte seine Ersatzmagazine so, daß er sie leichter erreichen konnte. Nichts fürchtete Kelly mehr als die Gefangennahme. Dann wäre er nämlich der Gnade von Männern wie bei PLASTIC FLOWER ausgeliefert, könnte sich nicht wehren und hatte sein Leben nicht mehr in der Hand. Ein leises Stimmchen im Hinterkopf sagte ihm, daß der Tod dem noch vorzuziehen wäre. Sich gegen unüberwindliche Widrigkeiten zu wehren, war kein Selbstmord. Okay. Das war ausgemacht. Er setzte sich in Bewegung.
»Sollen wir ihn anfunken?« fragte Maxwell.
»Nein, noch nicht.« Captain Albie schüttelte den Kopf.
»Er wird uns rufen. Mr. Clark ist jetzt beschäftigt. Lassen wir ihn in Ruhe.« Irvin kam zur Lagebesprechung hinzu.
»Was ist mit Clark?« fragte der Artillerist.
»Ist unterwegs«, teilte Albie ihm mit.
»Brauchen Sie mich und ein paar Leute mit der Waffe im Anschlag im Rettungshubschrauber Eins?« Es stand außer Frage, daß man versuchen würde, Clark herauszuholen. Marines haben eine eingefleischte Abneigung dagegen, Leute im Stich zu lassen.
»Das übernehme ich, Irvin«, meinte Albie.
»Sie leiten besser die Rettung, Sir«, redete Irvin ihm zu.
»Mit dem Gewehr kann hier schließlich jeder umgehen.« Maxwell, Podulski und Greer hielten sich aus dieser Unterredung heraus, sahen und hörten den beiden Berufssoldaten nur zu, die wußten, wovon sie redeten. Der Kommandant der Marines beugte sich der Logik seines nach
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