01 - Gnadenlos
stimmte der Helmsman zu.
»Wissen Sie, wer das war?«
»Was meinen Sie, Portagee?«
»Damals im Mai als dieser Charon bei uns an Bord war... das Segelboot mit den Bonbonstreifen - bestimmt war das der Mann.«
»Ach ja, damit könnten Sie recht haben, Boss.«
Aus reiner Höflichkeit, auf die er im nachhinein lieber verzichtet hätte, der er jedoch in der konkreten Situation nicht ausweichen konnte, hatten sie ihm alles gezeigt. In der Gegenwart von Polizeibeamten durfte er nicht kneifen, denn schließlich war er praktisch auch einer von ihnen. Und so war er, nachdem er die Leiche nur knapp fünfzig Meter von dem herrenlosen Boot gefunden hatte, die Strickleiter hinaufgeklettert. Da hatte er dann die drei anderen gesehen, die mit dem Gesicht nach unten auf den Planken in dem Raum gelegen hatten, der offensichtlich die Messe gewesen war. Allen war säuberlich eine Kugel von hinten in den Nacken geschossen worden, und in den Wunden hatten Vögel gepickt. Als ihm das klar wurde, hätte er beinahe die Fassung verloren. Die Vögel waren sogar so vernünftig gewesen, die Drogen in Ruhe zu lassen.
»Die Polizisten meinten, das waren zwanzig Kilogramm von dem Mist. Etwa eine Million Kröten«, erklärte Oreza.
»Ich hab ja schon immer gesagt, ich hab mir den falschen Beruf ausgesucht.«
»Na ja, die von der Polizei sehen so aus, als wären sie so was gewohnt. Besonders dieser Captain. Hat den Anschein, als würden sie heute die ganze Nacht dort bleiben.«
»Hallo, Wally?«
Leider war die Aufnahme nicht besonders klar. Schuld waren die alten Telefonleitungen, wie der Mann von der Technik erklärte. Dagegen konnte man nichts tun. Der Schaltkasten in dem Gebäude ließ sich auf die Zeit zurückdatieren, als Alexander Graham Bell die Hörhilfe erfunden hatte.
»Ja, was gibt's«, entgegnete eine irgendwie unsichere Stimme.
»Es geht um das Geschäft mit dem vietnamesischen Offizier, den sie geschnappt haben. Bist du sicher, daß deine Informationen stimmen?«
»Jedenfalls hat Roger mir das erzählt.« Volltreffer, dachte Ritter.
»Wo halten sie ihn fest?«
»Ich glaube, zusammen mit dem Russen draußen in Winchester.«
»Bist du sicher?«
»Berechtigte Frage. Mich hat das auch überrascht.«
»Ich wollte das eigentlich schon längst nachprüfen - na ja, du weißt ja, wie das ist.«
»Natürlich.« Und dann war die Leitung tot.
»Wer war das?« fragte Greer.
»Walter Hicks. Nur die allerbesten Schulen - Andover und Brown. Der Vater ist ein berühmter Investmentberater, der im Hintergrund ein paar Fäden gezogen hat. Und wo der Junge gelandet ist, sehen wir ja.« Ritter ballte die Hand zur Faust. »Wollen Sie wissen, warum unsere Leute immer noch in SENDER GREEN sind? Hier haben Sie's.«
»Was wollen Sie jetzt unternehmen?«
»Ich weiß es nicht.« Aber nichts, was legal ist. Der Mitschnitt des Telefongesprächs war es schließlich auch nicht. Die Leitung war ohne Gerichtsbeschluß angezapft worden.
»Überlegen Sie sich das gut, Bob«, warnte Greer. »Vergessen Sie nicht, ich war auch dort.«
»Was machen wir, wenn Sergej nicht schnell genug mit unseren Bedingungen durchkommt? Dann hat es dieses kleine Arschloch geschafft und zwanzig Männer auf dem Gewissen.«
»Das würde mir auch nicht besonders gefallen.«
»Und mir ganz und gar nicht.«
»Landesverrat ist hierzulande immer noch ein Kapitalverbrechen, Bob.«
Ritter blickte auf. »Das ist auch richtig so.«
Das war wieder mal ein langer Tag. Allmählich beneidete Oreza den Kollegen, der den Leuchtturm am Cove Point besetzt hielt, um seinen Dienstplan. Der konnte wenigstens regelmäßig bei seiner Familie sein. Orezas kleine Tochter war im Kindergarten die Klügste, und er hatte sie bisher kaum gesehen. Vielleicht würde er nun doch diese Stelle als Lehrer in New London annehmen, dann könnte er wenigstens ein oder zwei Jahre ein Familienleben führen. Dafür sorgen, daß seine Kinder es einmal bis zum Offizier schafften, und vorher noch gute Seeleute aus ihnen machen.
Meistens war er mit seinen Gedanken allein. Seine Mannschaft hatte sich in ihren Kojen aufs Ohr gehauen. Er hätte es ihnen gleichtun sollen, aber die Bilder in seinem Kopf verfolgten ihn. Der Mann, der von den Krabben aufgefressen war, und die anderen, die als Vogelfutter gedient hatten, würden ihn nicht schlafen lassen, ehe er sich nicht jemandem anvertraut hatte... und er hatte ja schließlich eine gute Ausrede. Oreza durchwühlte den Schreibtisch nach einer
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