01 - Gnadenlos
Kelly in sich ging. Was es nun zu erledigen gab, hatte er noch nie zuvor auf Geheiß von anderen getan, außer in Vietnam, was aber auf einem ganz anderen Blatt stand. Dazu mußte er noch einmal nach Baltimore fahren, was nun genauso gefährlich war wie seine Sondereinsätze. Er hatte zwar eine neue Identität aber sie gehörte einem offiziell schon Toten, was jeder mit geringem Aufwand herausfinden konnte. Er erinnerte sich beinahe rührselig an die Zeit, als die Stadt in zwei Zonen eingeteilt war - eine relativ kleine gefährliche und eine viel größere sichere. Das hatte sich geändert. Jetzt war es überall gefährlich. Die Polizei hatte seinen Namen. Bald würden sie auch sein Aussehen kennen, was bedeutete, daß in jedem Polizeiauto - in letzter Zeit schien es davon schrecklich viele zu geben - Leute saßen, die ihn ohne weiteres aufspüren konnten. Schlimmer noch, er konnte sich gegen sie nicht wehren, er konnte ja schließlich keine Polizisten umbringen.
Und nun das... Es ging an diesem Tag ganz schön viel durcheinander. Keine vierundzwanzig Stunden vorher hatte er sein ultimatives Ziel in Reichweite gehabt, doch nun fragte er sich, ob er seinen privaten Feldzug je würde abschließen können.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er nie damit angefangen hätte, Pams Tod hingenommen und weitergemacht hätte, während er es der Polizei überließ, den Fall zu lösen. Aber nein, sie hätte den Durchbruch nicht geschafft, hätte dem Tod einer Hure nie soviel Zeit und Arbeitskraft gewidmet. Kellys Hände umkrampften das Steuer. Ihre Ermordung wäre nie tatsächlich gesühnt worden.
Hätte ich den Rest meiner Tage damit leben können? Ihm fiel der Englischunterricht an der High-School ein, während er auf der Verbindungsstraße Baltimore-Washington nach Süden fuhr. Das tragische Prinzip des Aristoteles. Der Held mußte einen tragischen Makel haben, mußte sich selbst in sein Schicksal verstricken. Kellys Makel... er liebte zuviel, sorgte sich zuviel, engagierte sich zu sehr für Dinge und Menschen, die mit seinem Leben in Berührung kamen. Er konnte sich nicht abwenden. Wenn eine Abkehr ihm womöglich auch das Leben rettete, sie würde es ihm genauso vergiften. Und so mußte er das Risiko eingehen und sich durchschlagen.
Er hoffte, daß Ritter es verstand. Verstand, warum er tat, worum er gebeten worden war. Er konnte sich einfach nicht abwenden. Nicht von Pam. Nicht von den Männern in BOXWOOD GREEN. Er schüttelte den Kopf. Aber er wünschte sich, sie hätten einen anderen gefragt.
Die Verbindungsstraße war mittlerweile zur Stadtstraße geworden, der New York Avenue. Die Sonne war schon lange untergegangen. Der Herbst kündigte sich an, bald würde die feuchte Hitze des hiesigen Sommers vorüber sein. Die Football-Saison würde beginnen und die Baseball-Saison enden, und so zogen die Jahre dahin.
Peter hatte recht dachte Hicks. Er mußte drin bleiben. Sein Vater pirschte sich nun auf seine Weise an die Schalthebel der Macht, wurde zu einem der wichtigsten Männer im Hintergrund der Politik, zum Geldbeschaffer und Wahlkampforganisator. Der Präsident würde wiedergewählt werden, und Hicks würde seine eigene Macht erweitern. Dann würde er allen Ernstes die Ereignisse beeinflussen können. Daß er jenen Überfall vereitelt hatte, war das Beste, was er je getan hatte. Ja, doch, es fügte sich alles zusammen, dachte er, während er den dritten Joint an diesem Abend anzündete. Er hörte das Telefon klingeln.
»Wie geht's denn so?« Es war Peter.
»Ganz gut. Wie steht's mit dir?«
»Hast du ein paar Minuten Zeit? Ich möchte etwas mit dir besprechen.« Henderson war nahe daran, einen Fluch loszulassen, denn er hatte gleich gemerkt, daß Wally wieder high war.
»In einer halben Stunde?«
»Also bis dann.«
Kaum eine Minute später klopfte es. Hicks drückte seine Tüte aus und ging an die Tür. Für Peter war das zu früh. Konnte es ein Cop sein? Zum Glück war es keiner.
»Sind Sie Walter Hicks?«
»Ja, wer sind Sie?« Der Mann war in seinem Alter, wenn auch nicht ganz so aus dem Ei gepellt.
»John Clark.« Er blickte sich nervös im Flur um. »Ich müßte ein paar Minuten mit Ihnen reden, wenn es Ihnen recht ist.«
»Worüber?«
»BOXWOOD GREEN.«
»Ich verstehe nicht.«
»Es gibt da einiges, was Sie wissen müssen«, sagte ihm Clark. Nun arbeitete er für den CIA, also hieß er auch Clark. Das machte alles irgendwie leichter.
»Kommen Sie rein; aber ich habe nur ein paar Minuten
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