01 - Gnadenlos
Zeit.«
Clark folgte der einladenden Handbewegung und roch sofort den süßlichen Qualm brennenden Hanfs. Hicks wies auf den Sessel gegenüber von seinem.
»Kann ich Ihnen irgendwas anbieten?«
»Nein, danke, nichts«, antwortete Clark. Er gab acht, wo er mit seinen Händen hinkam.
»Ich bin dort gewesen.«
»Was meinen Sie?«
»Ich bin in SENDER GREEN gewesen, erst letzte Woche.«
»Sie gehörten zur Mannschaft?« fragte Hicks ungeheuer neugierig. Dabei erkannte er gar nicht die Gefahr, die gerade in seine Wohnung gekommen war.
»Das stimmt. Ich bin derjenige, der den Russen mit herausgebracht hat«, sagte sein Besucher ruhig.
»Sie haben einen Sowjetbürger entführt? Verflucht, warum haben Sie das getan?«
»Warum ich das getan habe, ist jetzt unwichtig, Mr. Hicks. Wichtig ist eines der Dokumente, das ich ihm weggenommen habe. Es war ein Befehl, die Ermordung aller Kriegsgefangenen in die Wege zu leiten.«
»Das ist aber schlimm«, sagte Hicks mit einem flüchtigen Kopfnicken. Oh, dein Hund ist gestorben. Das tut mir aber leid.
»Sagt Ihnen das nichts?« fragte Clark.
»Ja, das tut es, aber die Leute leben gefährlich. Augenblick mal.« Hicks' Augen wurden kurz ausdruckslos, und Kelly sah, daß er sich etwas wieder ins Gedächtnis zurückzurufen versuchte, das ihm entfallen war. »Ich habe gedacht, wir hätten auch den Lagerkommandanten, oder nicht?«
»Nein, den habe ich selbst umgelegt. Diese Information ist Ihrem Chef zugespielt worden, damit wir den Namen des Kerls rausfinden konnten, der die Mission verraten hat.« Clark beugte sich vor. »Das waren Sie, Mr. Hicks. Ich bin dort gewesen. Es war schon fast alles gelaufen. Diese Gefangenen sollten jetzt bei ihren Angehörigen sein - alle zwanzig.«
Hicks wischte das beiseite. »Ich habe nicht gewollt daß sie sterben. Aber, wie schon gesagt, die Leute leben gefährlich. Verstehen Sie denn nicht, daß es den Aufwand nicht wert war? Also was haben Sie vor, wollen Sie mich verhaften? Wegen was? Glauben Sie, ich bin blöd? Das war eine Nacht-und-Nebelaktion. Sie können das nicht an die Öffentlichkeit bringen, denn sonst gehen Sie das Risiko ein, die Friedensgespräche zu vermasseln, und das Weiße Haus wird das niemals zulassen.«
»Das stimmt. Ich bin hier, um Sie umzubringen.«
»Was?« Hicks fing fast zu lachen an.
»Sie haben Landesverrat begangen. Sie haben zwanzig Männer verraten.«
»Schauen Sie, das war eine Gewissensfrage.«
»Das hier auch, Mr. Hicks.« Clark langte in seine Tasche und zog eine Plastiktüte heraus. Darin waren Drogen, die er seinem getöteten alten Freund Archie abgenommen hatte, sowie ein Löffel und eine gläserne hypodermische Spritze. Er warf ihm die Tüte in den Schoß.
»Ich werd's nicht machen.«
»Na schön.« Hinter dem Rücken holte er sein Ka-Bar-Messer hervor. »Ich habe Leute auch schon so erledigt. Dort drüben sind zwanzig Männer, die jetzt zu Hause sein könnten. Sie haben ihnen ihr Leben gestohlen. Sie haben die Wahl, Mr. Hicks.«
Sein Gesicht war nun sehr blaß. Er starrte Clark aus großen Augen an.
»Jetzt machen Sie mal einen Punkt, Sie würden doch nie... »
»Der Lagerkommandant war ein Feind meines Landes. Genauso wie Sie. Sie haben eine Minute.«
Hicks sah auf das Messer, das Clark in seiner Hand drehte, und wußte, daß er nicht die Spur einer Chance hatte. Er hatte noch nie solche Augen gesehen, aber ihre Botschaft war unmißverständlich.
Während er abwartend dasaß, dachte Kelly an die vergangene Woche, sah sich wieder im vom Regen aufgeweichten Schlamm sitzen, nur ein paar hundert Meter von zwanzig Männern entfernt, die jetzt hätten frei sein können. Das machte ihm das hier ein klein wenig leichter, obwohl er hoffte, er müßte nie wieder einen solchen Befehl befolgen.
Hicks blickte sich im Zimmer um, in der Hoffnung, etwas zu sehen, das die Situation ändern würde. Während er sich noch überlegte, was hier vorging, schien die Uhr am Kamin stillzustehen. Mit dem Gedanken an den Tod hatte er sich 1962 in Andover theoretisch befaßt und sein Leben danach in Übereinstimmung mit diesem theoretischen Bild weitergeführt. Die Welt war für Walter Hicks eine Gleichung gewesen, etwas, das man regulierte und ausglich. Nun, da er wußte, daß es zu spät war, sah er, daß er bloß eine weitere Variable darin und eben nicht der Mann mit der Kreide in der Hand an der Tafel war. Er überlegte kurz, ob er vom Sessel aufspringen sollte, aber sein Besucher beugte sich schon vor, kam mit
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