01 - Gnadenlos
Beinen, nicht jedoch nach dem zweiten.
Zacharias war überrascht. Dies war der erste direkte Angriff auf seine Person, seit Kolja damals den Vietnamesen aufgehalten hatte. Durch die Wucht des Aufpralls wurde ihm die Luft aus den Lungen gepreßt. Aufgrund irgendwelcher Spätfolgen, die von seinem Aussteigen mit dem Schleudersitz herstammten, und der erzwungenen gebeugten Haltung tat ihm ohnehin schon der Rücken weh, und nun raubte der Schlag mit der Kalaschnikow seinem geschwächten und geschundenen Körper die letzte Kraft. Er fiel zur Seite, halb über einen anderen Gefangenen, und versuchte, die Beine anzuziehen, um seinen Körper zu schützen. Dann begannen die Fußtritte. Da ihm die Hände hinter dem Rükken gefesselt waren, konnte er sein Gesicht nicht schützen, dafür aber seinem Angreifer direkt in die Augen sehen. Ein Junge von etwa siebzehn, mit einem weibischen Aussehen und dem Gesichtsausdruck einer Puppe. Ebenso ausdruckslos blickten seine Augen. Keine Wut, nicht einmal ein Zähnefletschen; er versetzte ihm seine Tritte wie ein Kind, das nach dem Fußball tritt. Zacharias verspürte keinen Haß auf den Jungen, doch er verachtete ihn für seine Grausamkeit, und selbst, nachdem seine Nase gebrochen war, blickte er ihn unverwandt an. Robin Zacharias hatte die tiefste Verzweiflung kennengelernt, hatte gespürt, wie in seinem Innersten etwas zerbrochen war, und hatte vertraute Werte verraten. Doch er hatte auch Zeit gehabt, diese Vorgänge zu verstehen. Er war ebensowenig Feigling wie Held, er war einfach nur ein Mann. Er würde die Schmerzen als Strafe für seine früheren Sünden hinnehmen und Gott weiterhin um Kraft bitten. Und so richtete Colonel Zacharias seinen Blick auf den Jungen, der ihn folterte. Ich werde es überleben. Ich habe Schlimmeres überlebt, und selbst wenn ich sterbe, bin ich immer noch ein besserer Mensch, als du es je sein wirst, sagten seine Augen dem jungen Soldaten. Ich habe die Einsamkeit überlebt, und die ist schwerer zu ertragen als deine Tritte. Im Augenblick betete er nicht um Erlösung. Das mußte von innen kommen, und wenn ihm jetzt der Tod bevorstand, dann würde er ihm ebenso ins Angesicht blicken wie seiner Schwäche und seinem Versagen.
Auf einen weiteren Befehl hin ließen die Soldaten von den Gefangenen ab. Im Fall von Zacharias bedeutete es noch einen abschließenden Stoß. Er blutete, ein Auge war wie zugeschwollen, und aus seiner Brust drang ein keuchender, schmerzender Husten. Aber er lebte noch, war noch immer Amerikaner und hatte eine weitere Prüfung überstanden. Er blickte hinüber zu dem Hauptmann, der seinem Unteroffizier einen Befehl erteilte. Im Gegensatz zu dem jungen Soldaten war sein Gesicht wutverzerrt. Robin fragte sich, warum.
»Scheucht sie hoch«, brüllte der Hauptmann. Zwei Amerikaner waren bewußtlos und mußten von jeweils zwei Vietnamesen aufgerichtet werden. Das war das Beste gewesen, was er für seine Männer hatte herausholen können. Lieber hätte er die Gefangenen umgebracht, aber das verbot ihm der Befehl in seiner Tasche, und in dieser Armee wurde Mißachtung von Befehlen nicht toleriert.
Robin blickte wieder in die Augen des Jungen, der ihn angegriffen hatte. Ohne jede Gefühlsregung starrten sie ihn an. Und so verbannte auch er jeden Ausdruck aus seinen Augen. Eine kleine und ganz intime Kraftprobe. Kein Wort fiel dabei, obwohl beide Männer schwer atmeten, der eine wegen der Anstrengung, der andere vor Schmerz.
Willst du es eines Tages noch mal versuchen? Nur wir zwei? Du glaubst wohl du kannst mit mir Schlitten fahren, Kleiner? Oder schämst du dich vielleicht? Hat es Spaß gemacht? Bist du dadurch zum Mann geworden? Ich glaube, nicht, und vielleicht vergißt du es so schnell wie möglich, denn wir beide wissen, wer gewonnen hat, nicht wahr? Ohne daß seine Augen etwas verrieten, trat der Soldat zu Robin hin und faßte ihn mit einem festen Griff am Arm. Wir behalten diesen Mann besser unter Kontrolle. Robin nahm es als Sieg. Trotz allem hatte der Junge noch immer Angst vor ihm. Das war einer von denen, die am Himmel kreisten - verhaßt, gewiß, aber auch gefürchtet. Folterung war die Waffe der Feiglinge, das wußten diejenigen, die sie anwandten, ebensogut wie die, die sie erleiden mußten.
Beinahe wäre Zacharias gestolpert. Wegen der aufgezwungenen Haltung durfte er nicht aufblicken, und so sah er den Wagen erst, als er direkt davorstand. Es war ein ramponierter russischer Transporter mit Maschendraht über der
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