01 - Gnadenlos
möglicherweise nicht so schlimm, wie es aussieht, aber wir müssen diese Kügelchen schleunigst rauskriegen, bevor sie zu wandern anfangen. Zwei Stunden?« fragte er Severn. Rosen wußte, daß der Notarzt sich bei Traumata besser auskannte als er.
»Vielleicht drei.«
»Dann hab ich ja noch Zeit für ein Nickerchen.« Rosen blickte auf seine Uhr. »Ich nehm ihn mir, sagen wir, um sechs vor.«
»Sie wollen das persönlich übernehmen?«
»Warum nicht? Ich bin ja da. Das hier ist komplikationslos, braucht nur etwas Fingerspitzengefühl.« Rosen meinte, wenigstens einmal im Monat hätte er auch das Recht auf einen leichten Fall. Als ordentlicher Professor blieben die schwierigen ständig an ihm hängen.
»Mir ist es nur recht, Sir.«
»Wissen wir, wer der Patient ist?«
»Nein, Sir«, erwiderte Marconi. »Die Polizei müßte bald hier sein.«
»Gut.« Rosen streckte sich. »Wissen Sie, Margaret, Leute wie wir sollten nicht so viele Stunden am Stück arbeiten.«
»Ich brauche die Schichtzulage«, erwiderte Schwester Wilson. Im übrigen war sie die Leiterin des Schwesternteams für diese Schicht. »Ich frage mich, was das ist?« sagte sie nach einer Weile.
»Hm?« Rosen trat neben sie an den Tisch, während der Rest des Teams seine Arbeit verrichtete.
»Eine Tätowierung auf seinem Arm«, berichtete Schwester Wilson. Sie war sehr überrascht, wie heftig Professor Rosen darauf reagierte.
Der Übergang vom Schlafen zum Wachen fiel Kelly gewöhnlich leicht, nur diesmal nicht. Sein erster zusammenhängender Eindruck war Überraschung, doch er wußte nicht, warum. Als nächstes kam Schmerz, aber nicht so sehr der Schmerz selbst als vielmehr die vage Ahnung, daß er Schmerzen haben würde, und zwar jede Menge. Als er merkte, daß er seine Augen öffnen konnte, tat er es, und stellte fest, daß er auf einen grauen Linoleumboden starrte. Ein paar versprengte Tropfen Flüssigkeit reflektierten die grellen Neonröhren an der Decke. Er spürte Nadeln in den Augen, und erst dann erkannte er, daß die eigentlichen Stiche in seinen Armen saßen.
Ich bin am Leben.
Warum überrascht mich das?
Er konnte die Schritte von Leuten, gedämpfte Gespräche und entferntes Klingeln hören. Der Klang rauschender Luft erklärte sich durch die Lüftungsschlitze, von denen einer ganz in der Nähe sein mußte, weil er den kühlen Hauch auf dem Rücken spürte. Etwas sagte ihm, er sollte sich rühren, da er so unbeweglich eher verletzbar war, doch selbst, als er einen entsprechenden Befehl an seine Glieder schickte, rührte sich nichts. Dafür meldete sich jetzt der Schmerz. Wie Kräuselwellen auf einem Teich, wenn ein Insekt hineingefallen ist, begann er irgendwo an der Schulter und breitete sich von dort immer weiter aus. Es dauerte eine Weile, bis er ihn bestimmen konnte. Am ehesten glich er noch einem schlimmen Sonnenbrand, weil alles von der linken Halsseite bis hin zu seinem linken Ellbogen sich verbrannt anfühlte. Er wußte, daß da etwas war, woran er sich im Moment nicht erinnern konnte, womöglich etwas Wichtiges.
Wo zum Teufel bin ich?
Kelly meinte, ein entferntes Vibrieren zu spüren. Aber von was? Schiffsmotoren? Nein, das konnte irgendwie nicht sein, und nach ein paar weiteren Sekunden erkannte er, daß es sich um das ferne Geräusch eines von einer Haltestelle abfahrenden städtischen Busses handelte. Also kein Schiff. Eine Stadt. Warum bin ich in einer Stadt?
Ein Schatten strich über sein Gesicht. Er öffnete die Augen und erblickte die untere Hälfte einer Gestalt, die ganz in hellgrüne Baumwolle gekleidet war. Die Hände hielten so etwas wie ein Klemmbrett. Kelly konnte seinen Blick nicht gut genug fixieren, um auch nur zu erkennen, ob die Gestalt männlich oder weiblich war, bevor sie verschwand, und es kam ihm auch nicht in den Sinn, irgend etwas zu sagen, bevor er wieder in den Schlaf hinüberdämmerte.
»Die Schulterverletzung war ausgedehnt, aber nur oberflächlich«, sagte Rosen zehn Meter weiter weg der Neurochirurgin der Station.
»Blutig genug. Vier Einheiten«, bemerkte sie.
»Wunden von Schrotflinten sind eben so. Das Rückgrat war nur an einer Stelle ernsthaft bedroht. Hab eine Weile gebraucht um herauszukriegen, wie ich das Ding da herausholen sollte, ohne irgend etwas zu gefährden.«
»Zweihundertsiebenunddreißig Kügelchen -« sie hielt die Röntgenaufnahme ins Licht - »doch es sieht so aus, als hätten Sie alle erwischt. Hat sich eine schöne Sammlung Sommersprossen eingehandelt der
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