01 - Gnadenlos
Flinte. Überhaupt keine Zeugen. Ein wahrscheinlich vermißtes Mädchen, aber eine Beschreibung, die auf zehntausend Mädchen in der Stadt zutreffen könnte. Raub mit Entführung.« Alles in allem kein ganz untypischer Fall. Sie wußten oft am Anfang nur verdammt wenig. Jedenfalls waren sich die zwei uniformierten Beamten bereits weitgehend einig, daß die Kripo diesen Fall hier umgehend übernehmen würde.
»Sie war nicht von hier. Sie sprach Dialekt. Von irgendwo aus Texas.«
»Sonst noch was?« fragte der vorgesetzte Beamte. »Kommen Sie, Doc, wissen Sie sonst noch was?«
Sam verzog das Gesicht. »Sie war sexuell mißbraucht worden. Sie könnte eine Nutte gewesen sein. Meine Frau hat gesagt - zum Teufel, ich hab's selbst gesehen, Narbenspuren auf ihrem Rücken. Sie ist ausgepeitscht worden, hatte bleibende Narben von Striemen, so etwas. Wir haben ihr nicht auf den Zahn gefühlt, aber sie könnte Prostituierte gewesen sein.«
»Mr. Kelly hat merkwürdige Angewohnheiten und Bekanntschaften, nicht wahr?« bemerkte der Polizist, während er sich Notizen machte.
»Aus Ihren Worten schließe ich, daß er auch der Polizei hilft, oder nicht?« Professor Rosen wurde allmählich zornig. »Noch etwas? Ich muß Visite machen.«
»Doktor, wir haben hier einen eindeutigen Mordversuch, wahrscheinlich in Verbindung mit einem Raubüberfall und obendrein noch einer Entführung. Das sind Schwerverbrechen. Ich muß meinen Anweisungen folgen, genau wie Sie. Wann ist Kelly für eine echte Befragung ansprechbar?«
»Möglicherweise morgen, aber er wird noch ein paar Tage lang sehr wacklig sein.«
»Ist Ihnen zehn Uhr früh recht, Sir?«
»Ja.«
Die Cops erhoben sich. »Es wird dann jemand vorbeischauen, Sir.«
Rosen sah ihnen nach, als sie gingen. Es war seltsamerweise das erste Mal, daß er in die polizeilichen Ermittlungen bei einem Schwerverbrechen hineingezogen worden war. Seine Arbeit war normalerweise eher bei Verkehrs- und Arbeitsunfällen gefragt. Er konnte einfach nicht glauben, daß Kelly ein Verbrecher war, aber genau das war ja wohl der Tenor ihrer Fragen gewesen, oder etwa nicht? In diesem Moment trat Dr. Pretlow ein.
»Wir haben die Blutuntersuchung bei Kelly abgeschlossen.« Sie händigte ihm die Daten aus. »Syphilis. Er sollte vorsichtiger sein. Ich empfehle Penizillin. Irgendwelche bekannten Allergien?«
»Nein.« Rosen machte die Augen zu und fluchte. Was zum Teufel würde heute noch alles passieren?
»Keine große Sache, Sir. Sieht aus, als wäre sie in einem sehr frühen Stadium. Wenn er sich besser fühlt, werde ich jemand vom Sozialamt zu ihm... «
»Das werden Sie nicht!« sagte Rosen mit dumpfem Grollen.
»Aber... «
»Nichts aber. Das Mädchen, von dem er sie hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach tot, und wir werden ihn nicht zwingen, sie auf die Art in Erinnerung zu behalten.« Es war das erste Mal, daß Sam sich selber die wahrscheinlichen Fakten eingestanden hatte, und sie so für tot zu erklären, machte es noch schlimmer. Er konnte sich auf wenig stützen, aber sein Instinkt sagte ihm, daß es so sein mußte.
»Doktor, das Gesetz schreibt vor... «
Das war zuviel. Rosen stand kurz davor, zu explodieren. »Das da drin ist ein guter Mann. Ich habe miterlebt, wie er sich in ein Mädchen verliebt hat, die wahrscheinlich ermordet worden ist, und seine letzte Erinnerung an sie wird nicht die sein, daß sie ihm eine Geschlechtskrankheit verpaßt hat. Ist das klar, Frau Doktor? Falls der Patient fragt, so ist die Medikation nur dazu gedacht, eine postoperative Infektion zu verhindern. Vermerken Sie das entsprechend auf dem Krankenblatt.«
»Nein, Doktor, das werde ich nicht tun.«
Also machte Professor Rosen die entsprechenden Vermerke. »Erledigt.« Er blickte auf. »Doktor Pretlow, Sie haben das Zeug zu einer technisch exzellenten Ärztin. Aber denken Sie gelegentlich mal daran, daß die Patienten, die wir behandeln, menschliche Wesen mit Gefühlen sind, ja? Wenn Sie sich daran halten, denke ich, wird Ihnen auf lange Sicht der Beruf etwas leichter fallen. Es wird Sie auch zu einer sehr viel besseren Ärztin machen.«
Worüber hat der sich bloß wieder so aufgeregt? fragte sich Dr. Pretlow, als sie hinausging.
8 Abschottung
Mehrere Dinge kamen zusammen. Der 20. Juni war ein heißer und langweiliger Tag. Bob Preis von der Baltimore Sun hatte eine neue Kamera, eine Nikon. Obgleich er noch um sein altes Modell, eine ehrwürdige Honeywell Pentax, trauerte, verlockte ihn die neue Kamera wie
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