01 - Gott schütze dieses Haus
Riten der Vergangenheit zelebriert hatte? Er hatte jede Frau in seinem Leben einer unversöhnlichen Musterung unterzogen, und keine hatte im Vergleich mit Deborah bestehen können; aber es ging dabei nicht um die reale Deborah, sondern um eine mystische Göttin, die nur in seiner Phantasie lebte.
Er erkannte jetzt, daß er die Vergangenheit nicht hatte vergessen wollen, daß er alles getan hatte, um sie am Leben zu erhalten, als wäre es immer seine Absicht gewesen, sie und nicht Deborah zu seiner Braut zu machen. Er war zutiefst entsetzt.
Mit dem Entsetzen kam die Erkenntnis, daß er auch im Hinblick auf Stepha den Tatsachen ins Auge sehen mußte. Aber er schaffte es nicht. Noch nicht.
Als der letzte Satz der Symphonie sich dem Ende näherte, steuerte er den Bentley die gewundene Straße vom Hochmoor hinunter nach Keldale. Herbstlaub flatterte unter den Rädern auf und wehte hinter ihm wie eine rotgoldene Wolke durch die Luft, die den Winter ankündigte. Er hielt vor dem Gasthof an und blieb einen Moment im Wagen sitzen. Während er geistesabwesend auf die Fenster starrte, fragte er sich wie benommen, wie und wann er die einzelnen Bruchstücke seines Lebens zusammenbringen würde.
Havers mußte ihn gesehen haben. Sie kam zur Tür, sobald er den Motor ausschaltete. Er stöhnte innerlich und machte sich auf einen weiteren Zusammenstoß gefaßt, aber sie gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu sagen. »Ich habe Gillian gefunden«, erklärte sie.
13
Irgendwie hatte sie den Morgen überstanden. Die furchtbare Auseinandersetzung mit Lynley und das Grauen in Robertas Zimmer hatten aus ihrer Wut und ihrem Elend schließlich dumpfe Gleichgültigkeit gemacht. Sie wußte, daß er sie so oder so entlassen würde. Sie hatte es auch nicht anders verdient. Doch vorher wollte sie ihm wenigstens einmal beweisen, daß sie die Fähigkeit zum Inspector besaß, und um das zu tun, mußte sie dieses letzte Gespräch durchstehen, mußte diese letzte Gelegenheit nutzen, um ihm die Früchte ihrer Arbeit zu zeigen.
Sie sah zu, wie Lynley die ungewöhnliche Sammlung von Gegenständen musterte, die auf einem der Tische im Aufenthaltsraum ausgebreitet lag: das Album mit den zerstörten Familienfotos; ein zerlesener, abgegriffener Roman, die Fotografie aus Robertas Kommode, das andere Bild, das die beiden Schwestern zeigte, sechs vergilbte Seiten einer Zeitung, alle im gleichen Format gefaltet, 65 x 42 cm.
Lynley zog zerstreut seine Zigaretten heraus, zündete sich eine an und setzte sich aufs Sofa.
»Was ist das alles, Sergeant?« fragte er.
»Das sind die Fakten über Gillian«, antwortete sie mit beherrschter Stimme. Dennoch hörte er ein leichtes Zittern. Sie räusperte sich, um es zu vertuschen.
»Wollen Sie mich nicht aufklären?« sagte er. »Zigarette?«
Sie lechzte danach, die Zigarette in ihren Fingern zu fühlen, den Rauch tief einzusaugen, aber sie wußte, wenn sie sich eine anzündete, würden ihre Hände zittern.
»Nein, danke«, erwiderte sie. Sie holte einmal tief Atem, hielt den Bick auf sein abwartendes Gesicht gerichtet und begann.
»Wie legt Ihr Diener Denton Ihre Kommodenschubladen aus?«
»Mit irgendeinem Papier, vermute ich. Ich habe nie darauf geachtet.«
»Aber jedenfalls nicht mit Zeitungspapier, oder?« Sie setzte sich ihm gegenüber und ballte die Hände im Schoß zu Fäusten. »Ganz sicher nicht, denn die Druckerschwärze würde Ihre Sachen beschmutzen.«
»Das ist wahr.«
»Deshalb machte es mich stutzig, als Sie erwähnten, daß Robertas Schubladen mit Zeitung ausgelegt seien. Und mir fiel ein, daß Stepha uns erzählt hatte, daß sie sich jeden Tag den Guardian geholt hat.«
»Bis zum Tod von Paul Odell. Danach nicht mehr.«
Barbara strich sich das Haar hinter die Ohren. Es spielte keine Rolle, sagte sie sich, wenn er ihr nicht glaubte, wenn er über die Schlußfolgerungen lachte, zu denen sie nach drei Stunden in diesem grauenvollen Zimmer gekommen war.
»Ja, aber ich glaube, es hatte nichts mit Paul Odell zu tun, daß sie nicht mehr kam. Ich glaube, es hatte vielmehr etwas mit Gillian zu tun.«
Sein Blick glitt zu den Zeitungen, und Barbara sah, wie auch er bemerkte, was ihr selbst aufgefallen war: daß Roberta ihre Schublade mit dem Teil ausgelegt hatte, in dem die vermischten Anzeigen standen. Hinzu kam, daß zwar sechs Zeitungsblätter auf dem Tisch lagen, daß es sich aber um Duplikate von nur zwei Seiten des Guardian handelte, als hätte jene Ausgabe etwas Denkwürdiges enthalten und
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