01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
gewesen, und daß Marjorie nichts Besseres hätte passieren können. Allerdings war er ziemlich beschwipst.«
»Wer ist Marjorie?«
»Seine Schwester. Sie war heftig in Lord Stephen verliebt und ist am Boden zerstört, seit sie weiß, daß er tot ist. Der Arzt hat sie mit einem Beruhigungsmittel ins Bett gesteckt. Außerdem war sie wahnsinnig eifersüchtig. Meinen Sie, sie könnte das vielleicht getan haben, um ihm einmal einen ordentlichen Schrecken einzujagen, und dann einen Schock bekommen haben, als er tatsächlich ertrunken ist?«
»Schon möglich. Um das Eis aufzuhacken, braucht man allerdings ganz schöne Kräfte.«
»Sie ist durchaus ein sportlicher Typ: Schlittschuhlaufen, Golf, Tennis, Reiten und so weiter. Ich würde sagen, sie ist so kräftig wie Wilfred. Der ist vielleicht ein Schürzenjäger vor dem Herrn. Anstrengenderes als ein Weinglas zu erheben oder einen Croquet-Schläger zu schwingen, würde ihn überfordern.«
»Sehr anschaulich beschrieben. Was ist mit Lord Beddowe?«
»James ist ziemlich stark. Sie wissen schon, ein Mann, der jagen, schießen und fischen geht. Nur hatte er nichts gegen Lord Stephen, kein Motiv, ganz im Gegenteil. Geoffrey, der Jüngste, ist noch kräftiger, aber der ist noch ein Junge und hat Lord Stephen nie beachtet, ob er ihn nun besonders mochte oder nicht.«
Sie kamen ans Haus. Mr. Fletcher ignorierte Drews Mißbilligung und ging los, um seine Telephonate zu führen. Daisy zog sich in den Blauen Salon zurück, wo sie nach einem Diener klingelte. Er sollte das Feuer im Kamin anzünden, damit der Detective seine feuchten Knie trocknen könnte.
Was für eine schreckliche Angelegenheit es doch war! Sie mußte an Annabels blasses Gesicht beim Mittagessen denken.
Hatte sie vielleicht vorgehabt, Lord Stephens Leidenschaft mit einem eisigen Bad abzukühlen, und dabei das Risiko unterschätzt, daß er sich den Kopf stoßen und ohnmächtig werden könnte? Nein, denn da er ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit kannte, hätte er sie danach bestimmt nur um so schlimmer drangsaliert.
Annabel hätte ihn auf jeden Fall gleich töten wollen.
Trotz des knisternden Feuers schauderte Daisy. Diese Schlußfolgerung würde sie dem Chief Inspector lieber nicht mitteilen.
Als er in den Salon kam, stellte er sich gleich an den Kamin, und an seinen Knien dampfte bald die Hose. Er sagte: »Sergeant Tring wird sich gleich auf den Weg machen, sobald ihm die örtliche Polizei meine Nachricht übermittelt. Der Coroner hat mir zugesagt, die Untersuchung auf einen Zeitpunkt nach der Klärung der Todesursache und der Personalien des Verstorbenen zu vertagen. Das bedeutet, daß wir noch nicht sagen müssen, wo genau Astwick umgekommen ist. Und die Leiche befindet sich auf dem Weg zur Gerichtsmedizin von Scotland Yard, damit die Autopsie durchgeführt werden kann. Der Commissioner hat mir gesagt, ich sollte die örtliche Polizei möglichst weitgehend aus der Sache heraushalten.«
»Je weniger die Leute im Ort wissen, desto besser für die Stimmung von Lord Wentwater.«
»Das glaube ich gerne. Schließlich muß er ja mit ihnen auskommen. Ich sehe zu, was ich da machen kann. Also, Miss Dalrymple, Sie meinten vorhin, Lord Beddowe hätte in Ihren Augen kein Motiv. Was ist mit dem Bruder seiner Verlobten, mit Mr. Petrie?«
»Phillip! Du lieber Himmel, nein. Jedenfalls hat er Astwick neulich einen prima Kerl genannt. Es hat wohl irgendeine Art von Geschäft zwischen den beiden gegeben, und er war baß erstaunt, als ich ihm erzählte, daß Sir Hugh Lord Stephen mißtraut. Das war erst gestern Abend, also kann er doch in der Zwischenzeit nicht gehört haben, daß er betrogen worden ist, oder? Ich kenne Phillip schon mein ganzes Leben. Er ist nicht gerade der Hellste, aber etwas so Heimtückisches würde er niemals tun.«
»Verstehe.« Mr. Fletcher klang eher skeptisch. »Wer ist Sir Hugh?«
»Der Schwager von Lord Wentwater, Lady Josephines Ehemann. Er hat darauf bestanden, die Polizei zu rufen, und er hat es auch eingefädelt, daß Scotland Yard einen diskreten Mann hergeschickt hat.«
»Einen diskreten Mann also?« Er grinste. »Ich dachte, man hätte mich nur hergeschickt, weil ich ohnehin in der Gegend war.«
Daisy lächelte ihn an. »O nein, Ihre Vorgesetzten scheinen sehr große Stücke auf Ihre Verschwiegenheit zu halten. Sir Hugh ist ein Freund von Ihrem Commissioner. Er ist wohl in der Geschäftswelt ein ziemlich hohes Tier, weswegen er auch wußte, daß man Lord Stephen nicht über den
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