01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
drin.«
»Astwick hätte das Loch doch bestimmt rechtzeitig gesehen und hätte angehalten. Er ist doch nicht vor dem Morgengrauen hier unten gewesen, oder?«
»Nicht, daß ich wüßte. Allerdings muß dieser Teil des Sees heute Morgen im Schatten der Brücke gelegen haben. Erinnern Sie sich, daß man auf den Photos nur die eine Seite vom Loch genau erkennen konnte? Er war vorher da, da war der Schatten ja noch länger. Und wegen des Glitzerns der Sonne auf dem Eis und dem Schnee hat er wahrscheinlich nichts sehen können. Ich war schon ganz dicht dran, ehe ich erkannt habe, was James und Fenella da so angestarrt haben, obwohl die eine Seite im Sonnenlicht lag und obwohl ich schon wußte, daß irgend etwas nicht stimmte.«
»Könnten Sie noch ein paar Aufnahmen machen, bitte?«
»Wenn Sie möchten«, sagte sie zweifelnd, »aber die Sonne steht jetzt zu hoch, da gibt es keinen Kontrast von Licht und Schatten. Ich glaube nicht, daß man viel erkennen wird.«
»Ich kann sie immer noch vergrößern lassen. Wer weiß, wozu ich sie gebrauchen kann.«
Während sie mit ihrer Kamera hin und her ging, untersuchte Alec das Eis um das Loch herum nach Rissen und prüfte, ob es an dieser Stelle möglicherweise dünner war. Er wollte unbedingt, daß es sich in dieser Sache um einen Unfall handelte.
Mit dem großen Juwelenraub bei Lord Flatford hatte er ohnehin genug zu tun. Ein verärgerter Adliger reichte ihm. Wenn er auch noch dem Grafen von Wentwater mit der Nachricht käme, daß eine weitere Untersuchung der Angelegenheit notwendig sei, würde das das Ende seiner Karriere bedeuten.
Miss Dalrymple hatte ihre Aufnahmen gemacht und kehrte an seine Seite zurück. »Also?«
»Ich bin noch nicht überzeugt, daß es kein Unfall war, aber ich bin leider auch nicht davon überzeugt, daß es doch einer war. Es ist eine verflucht merkwürdige Art, Selbstmord zu begehen. Eher scheint die Absicht dahinterzustecken, jemandem Schaden zuzufügen - wahrscheinlich dem Opfer, das dann auch getroffen wurde. Denn es war ja bekannt, daß Astwick immer im Morgengrauen Schlittschuhlaufen ging. Es wird eine Autopsie geben müssen - hier handelt es sich mindestens um fahrlässige Tötung. Aber wer könnte es denn auf Lord Stephen Astwick abgesehen haben?«
»Etwa die Hälfte der Bewohner von Wentwater Court«, mußte ihn Miss Daisy aufklären.
5
Chief Inspector Fletcher schien über diese Nachricht nicht wesentlich glücklicher zu sein als Daisy. »Das sollten Sie mir wohl lieber genauer erklären«, sagte er resigniert. »Sie betrachten die Dinge hier in gewisser Hinsicht von außen. Die Interna werden Sie also möglicherweise nicht kennen, aber ich hoffe, daß Sie dadurch halbwegs objektiv sein können.«
Es wurde ihr noch unbehaglicher zumute. Sie spürte, daß sie damit die Gastfreundschaft der Wentwaters verraten würde, doch gleichzeitig war es auch ihre Pflicht, der Polizei zu helfen. Man konnte schließlich nicht Leute davonkommen lassen, die andere Menschen ertränkten, wie widerwärtig sie auch sein mochten.
»In Ordnung. Aber lassen Sie uns wieder ins Haus gehen. Mir ist kalt.«
»Mir auch, und ich hab ganz nasse Knie. Außerdem muß ich mit meinem Sergeant telephonieren, und mit dem Leichenschauhaus und dem Coroner auch.«
»Muß ich eigentlich als Zeugin aussagen?«
»Was ich jetzt von Ihnen brauche, sind Ihre Eindrücke und das, was Sie sich so zusammenreimen oder was Sie vom Hörensagen wissen, damit ich in etwa weiß, wo ich anfangen soll. Sollten Sie als Zeugin aussagen müssen, dann wird es ausschließlich um Tatsachen gehen, um das, was sie tatsächlich beobachtet haben«, versicherte er ihr, während sie den Pfad hinaufstapften.
Sie nickte, voller Dankbarkeit für sein Verständnis. Wenn sie schon die Polizei bei ihrer Untersuchung unterstützen mußte, dann hatte sie es dabei wenigstens mit einem angenehmen Polizisten zu tun. »Ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.«
»Astwick muß hier doch einen Freund gehabt haben, sonst wäre er hier doch nicht Gast gewesen. Wer hat ihn eingeladen?«
»Wilfred. Der zweitälteste Sohn von Lord Wentwater. Aber ich bin mir sicher, daß die beiden nicht befreundet waren. Ganz abgesehen davon, daß Wilfred zwanzig Jahre jünger ist, scheint er ... schien er vor Lord Stephen richtiggehend Angst zu haben. Heute beim Mittagessen war er auf fast unanständige Weise fröhlich. Jetzt fällt mir ein, daß er mir sogar gesagt hat, Lord Stephen wäre ein mieses Schwein
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