01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Weg trauen darf. Ich bin mir sicher, daß er viel zu schlau wäre, als daß er sich von dem hätte übers Ohr hauen lassen. Außerdem, wenn er sich dafür rächen wollte, dann würde er das doch mit seinen geschäftlichen Mitteln tun, meinen Sie nicht?«
»Ich hoffe es jedenfalls. Es wäre mir mehr als unangenehm, wenn ausgerechnet ein Freund des Commissioners mein wichtigster Tatverdächtiger wäre.«
Er befühlte seine Hosen am Knie und setzte sich dann auf den Sessel ihr gegenüber. »Lady Josephine?«
»Nein, wirklich nicht! Sie hat sich vielleicht Sorgen gemacht, aber sie ist viel zu gutmütig - und viel zu dick - als daß sie das Eis mit einer Axt hätte bearbeiten können.«
»Miss Fenella Petrie können wir auch ausschließen, oder?«
»Ich glaube schon. Ja, natürlich. Sie ist doch noch ein Mädchen, und er hat nie Interesse an ihr gezeigt.« Daisy war von dem »Wir« geschmeichelt, mit dem er sie in die Untersuchung einbezog, und von dem offensichtlichen Vertrauen des Chief Inspectors in ihre Urteilsfähigkeit. Dennoch fürchtete sie die nächsten paar Minuten. »Damit bleiben nur noch Lord und Lady Wentwater.« Und beide mochte sie besonders gerne.
»Bevor wir die unter die Lupe nehmen, lassen Sie mich noch einen Schritt zurückgehen. Sie haben gesagt, oder angedeutet, daß Lord Beddowe Lord Stephen mochte, daß Lady Marjorie Grund zur Eifersucht hatte und daß Lady Josephine sich Sorgen gemacht hat.«
Daisy versuchte, das Unvermeidliche aufzuschieben. »Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis.«
»Das braucht man auch bei dieser Arbeit.« Er hielt inne.
Seine grauen Augen schauten schon wieder durchdringend unter den schweren Brauen hervor, als hätte er ihre Verzögerungstaktik durchschaut. »Könnten Sie mir das vielleicht erklären?«
Daisy holte tief Luft und seufzte tief auf. »James mochte Lord Stephen nicht unbedingt. Er benutzte ihn, um die Fehde gegen seine Stiefmutter besser vorantreiben zu können. Nicht, daß das notwendig gewesen wäre, wenn Sie mich fragen. Lord Stephen hat Lady Wentwater hartnäckig verfolgt, ohne daß es dazu irgendeiner Ermunterung durch James bedurft hätte.«
»Meinen Sie etwa, Lord Stephen hatte vor, Lady Wentwater zu verführen? Das ist doch nicht möglich!«
»Es hat jedenfalls so ausgesehen. Sie ist ungefähr so alt wie ich und sieht ziemlich atemberaubend aus, müssen Sie wissen.«
»Also war Lady Marjorie natürlich eifersüchtig. Hatte Lady Josephine Sorge, daß ihre Schwägerin sich eventuell ... ähm seinen Avancen hingeben könnte?«
»Ja.
»Erschien Ihnen das denn wahrscheinlich?«
Sie zögerte. Wenn sie das bejahte, dann würde Lord Wentwaters Motiv stärker erscheinen, sich Lord Stephens entledigen zu wollen, und Annabel würde ganz und gar unmöglich dastehen. Wenn sie nein sagte, würde sie das erklären müssen.
Damit hätte Annabel plötzlich ein Motiv, und gleichzeitig würde etwas Schändliches in ihrer Vergangenheit angedeutet.
Der durchdringende Blick des Detectives lag auf ihr. Sie seufzte erneut. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen. »Sie hat ihn gehaßt und gefürchtet. Wenn sie ihn erhört hätte, dann nur aus Angst.«
Er nickte gedankenvoll. »Das klingt wie Erpressung, wie schon Wilfred Beddowes Einladung. Ein durch und durch unangenehmer Mensch, dieser Lord Stephen Astwick.«
»Wilfred hatte recht. Er war ein absolut mieses Schwein.«
»Lady Wentwater hätte also doch ein Motiv, wie auch ihr Ehemann.« Er stöhnte auf. »Womit der Tatverdächtige der Graf wäre und nicht Sir Hugh! Und jetzt darf ich losziehen und ihm sagen, daß ich nicht nur seinen ganzen Haushalt befragen will, sondern auch ihn selbst.«
Und damit gingen auch alle Chancen, es jemals zum Superintendent zu bringen, dahin, dachte Alec. Im Vergleich dazu war die höchst indiskrete Art, in der er sich Miss Daisy Dalrymple anvertraute, völlig nebensächlich. Irgend etwas an ihren arglosen blauen Augen forderte vertrauliche Gespräche geradezu heraus, und nach zwei schlaflosen Nächten fehlte ihm die Energie, dem zu widerstehen. Außerdem hatte er Grund, ihr zu vertrauen: Wenn sie seine Aufmerksamkeit nicht auf die Stellen im Eis gelenkt hätte, dann wäre Astwicks Tod als bloßer Unfall durchgegangen.
Trotzdem ... »Ich dürfte mich eigentlich nicht so mit Ihnen unterhalten, und schon gar nicht, wenn ich hier als Muster an Diskretion gelte. Ich stecke ganz schön in der Patsche, wenn Sie auch nur einem Menschen erzählen, was ich
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