01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Lady Marjories Motiv damit eine Stärkung erfahren hatte. »Ich bin mir sicher, daß James es war«, fuhr sie eilig fort. »Wenn Sie nur seinen widerlichen Versuch gehört hätten, Annabel die Schuld zuzuschieben ...«
»Das hat er bei mir auch schon versucht, wie Sie sich erinnern werden. Ich werde ihn ohnehin noch einmal befragen, und ich kann Ihnen versichern, daß er auf meiner Liste ganz oben steht.«
»Gut! Wilfred hat sich übrigens wirklich als ein Pfundskerl herausgestellt. Nicht nur, daß er gestern Abend Geoffrey die Stange gehalten hat, er hat sich heute Morgen auch besondere Mühe gegeben, nett zu Annabel zu sein.«
»Auf meiner Liste steht er auch ziemlich weit unten.« Alec lächelte sie an. »Hatten wir nicht schon beschlossen, daß er mehr zu verlieren als zu gewinnen gehabt hätte, wenn er Astwick in Rage brächte?«
»Ja, genau wie Annabel«, stimmte sie mit einem dankbaren Lächeln zu. »Ich bin ja so froh, daß Annabel aus der Sache raus ist. Ich hab mich ein paarmal mit ihr unterhalten, und ich mag sie furchtbar gerne.«
Alec ernüchterte sie lieber nicht. Es stimmte, Lady Wentwater hätte durch einen verärgerten Astwick nichts gewonnen, und das wußte sie auch. Aber hätte sie das in einem Anfall von verzweifeltem Haß, von Angst auch bedacht? Oder hätte sie etwa gerade dafür gesorgt, daß ein solcher Streich zu einem sicheren Ertrinken führen würde?
Wobei er sich aber einfach nicht vorstellen konnte, wie sie das hätte anstellen sollen.
»Sie hat nichts Hilfreiches gesagt?« fragte er.
»Hilfreiches für Sie? Nein.«
»Aber für Sie?«
Daisy nickte, und ein Ausdruck von Rührung legte sich über ihr Gesicht. Wenn Lady Wentwater etwas Tröstliches zu Daisy gesagt hatte, hoffte Alec um so mehr, daß ihre Ladyschaft nicht in die Sache verwickelt war.
Piper kehrte atemlos zurück, einen Stapel Photographien in der ausgestreckten Hand. Daisy ging ihn rasch durch und holte vier daraus hervor, von denen sie dann drei beiseitelegte und Alec die vierte reichte. »Das Photo hab ich genau in dem Moment aufgenommen, als Annabel und Astwick gemeinsam in die Halle eingetreten sind.«
»Ein Familienphoto ohne Lady Wentwater?« Alec zog sein Vergrößerungsglas hervor.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie absichtlich oder aus Versehen nicht dazugebeten worden ist. Ich glaube aber, es war nur ein Mißverständnis.«
Die Figur in der Mitte des Photos, deren wildgemustertes Kleid so ins Auge stach, war eine junge Frau, die er nur als Typus erkannte. Ihre knabenhafte Figur, die marcellierten kurzen Haare und exakt angemalten Lippen entsprachen genau der gegenwärtigen Mode. »Das ist also Lady Marjorie? Sieht aus wie ein Paradebeispiel für ein flottes junges Ding, das unbedingt im Vordergrund stehen will.«
»Ganz schön dick aufgetragen, nicht wahr? Es hat mich ziemlich geärgert, als sie mit diesem Kleid auftauchte, aber sie ist eigentlich sehr süß.«
»Und da hätten wir Geoffrey.« Alec begutachtete das Gesicht des großen jungen Mannes. »Du liebe Zeit, sag bloß, der Junge ist in seine Stiefmutter verliebt!«
»Genau den Eindruck hatte ich auch«, stimmte Daisy ihm zu.
»Und wenn er sie liebt, dann würde er doch alles daran setzen, zu verhindern, daß Astwick ihr vor lauter Wut Schaden zufügt.«
»So weit hat er möglicherweise gar nicht gedacht«, bremste Alec sie, während er sich die anderen in der Gruppe anschaute, »und möglicherweise hat er von der Drohung Astwicks gegenüber Lady Wentwater gar nichts ... Liebe Zeit! Daß ich Wentwater als einen dieser stoischen Gentlemen betrachtet haben sollte, der heftiger Gefühle gar nicht fähig ist! Der hat ja förmlich Schaum vorm Mund!«
»Und keine Sekunde später wirkte er so gelassen wie immer. Er ist übrigens gestern Abend noch in die Dunkelkammer gekommen, um sich mit mir zu unterhalten. Nach dem ganzen Aufruhr mußte ich mich einfach irgendwohin flüchten«, erklärte sie entschuldigend.
»Das kann man Ihnen nicht verübeln. Es muß eine verflixt unangenehme Situation gewesen sein.« An ihrer Stelle hätten die meisten Mädchen fluchtartig das Haus verlassen, wie Fenella Petrie heute Morgen. Aber Daisy marschierte tapfer weiter und tat ihr Bestes, dem Arm des Gesetzes zu helfen und gleichzeitig ihre Freunde zu beschützen. Alec wünschte sich, er hätte sie nie in die Sache hineingezogen, sie nie in diesen Loyalitätskonflikt gestürzt. Aber es war schließlich seine Aufgabe, von allem und jedem Gebrauch zu machen, um
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