01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Dienstherr und sehr großzügig. Aber danach hat er dann kein Wort mehr gesagt, und man kann ja nie wissen, oder? Ein gutes Paar Stiefel kostet doch auch ein hübsches Sümmchen. Na ja, Sie werden jetzt an Ihre Arbeit wollen, Miss. Ich werd Sie mal lassen, und entschuldigen Sie bitte, daß ich so gequasselt hab.«
Daisy schüttelte den Kopf bei der Vorstellung, Payne könnte ein Paar Stiefel gestohlen haben, wo er doch von der Aktentasche voll unbezahlbarer Juwelen gewußt haben mußte. Dann setzte sie sich an ihre Schreibmaschine. Wenn es doch nur so enden könnte, daß Astwick von seinem Diener umgebracht worden war, aus irgendwelchen Gründen, die mit der Familie Beddowe nichts zu tun hatten. Aber sie kam einfach nicht darauf, wie Payne das angestellt haben könnte, und so dämlich konnte er doch auch nicht gewesen sein, dann nicht den Schmuck mitgehen zu lassen.
Sie zuckte mit den Achseln und wandte sich ihren Notizen über Geschichte, Architektur und Einrichtung von Wentwater Court zu. Die Frage, wer Astwick umgebracht hatte, war Alecs Problem und nicht ihres, Gott sei Dank.
Was hätte Alec in dem Moment darum gegeben, ebenfalls mit den Schultern zucken und das Problem jemand anderem überlassen zu können. Lady Marjorie erwies sich als genausowenig hilfreich wie der Rest seiner Tatverdächtigen. Immerhin hatte sie keine Beschützer mitgebracht, was ihn allerdings überraschte.
Sie saß ihm gegenüber und war so dezent gekleidet, daß er es gar nicht fassen mochte: ein blauer Tweed-Rock mit rosa Sprenkeln, darüber eine rosa Seidenbluse und ein langer hellblauer Strickpullover mit V-Ausschnitt. Kaum ein Stäubchen Puder lag auf ihrem Gesicht, die Lippen hatten ihre natürliche Form und Farbe, und sie sah wesentlich jünger aus als auf der Photographie. Schutzlos wirkte sie, als wäre die Schminke ihr Panzer.
»Ja, ich kenne Lord Stephen aus London. Er ging nicht oft auf die Debütantinnenbälle, auch nicht zu den Nachmittagstees und diesen Geschichten, aber wir haben uns bei einer Dinner-Party kennengelernt. Ich hab ihn im wesentlichen in Nachtclubs und ...« Sie zögerte.
»Und?«
»Und in Casinos getroffen«, sagte Lady Marjorie trotzig.
Alec gab sich Mühe, keine Reaktion zu zeigen, während er diese neuen Möglichkeiten bedachte. Hatte sie Astwick Geld geschuldet, wie ihr Bruder? Oder hatte er sie zum Lotterleben verführt? War sie gar seine abgelegte Geliebte, die sich an die Hoffnung klammerte, ihn zurückzugewinnen? War sie gar nicht das dumme verliebte Mädchen, für das alle sie hielten?
»Machen Sie gerne mal ein Jeu?« fragte er beiläufig.
Sie entspannte sich. »Nicht wirklich. Gelegentlich ein Rubber Bridge, ab und zu mal eine kleine Pferdewette beim Derby und bei den Oaks, das reicht mir. Aber die Begleiter, die man so hat ... Sie wissen ja, wie das ist.« Zweifelnd schaute sie ihn an. »Oder vielleicht wissen Sie es auch nicht.«
»Ich kann es mir vorstellen. Wie lange kannten Sie Astwick schon?«
»Ungefähr ein Jahr. Irgendwann, nachdem Tante Jo aufgehört hat, mich unbedingt überall hin begleiten zu müssen.«
Alec wartete. Manchmal brachte Schweigen größeren Erfolg als Fragen.
»Sie haben ihn nur als ... als Toten gesehen«, sagte sie. »Er sah schrecklich gut aus, und die Männer, die mich sonst ausgeführt haben, wirkten neben ihm wie dumme kleine Jungs, die sich als Erwachsene verkleidet haben. Und er führte außerdem immer ältere Frauen aus, wirklich elegante, meistens waren sie sogar verheiratet. Ich hätte nie gedacht, daß er überhaupt von mir Notiz nehmen würde.«
»Aber das hat er doch?«
»Ja, irgendwie auf eine neckische Art, als hielte er mich eigentlich für ein kleines Mädchen.«
»Und wann war das? Wann hat er angefangen, Ihnen Aufmerksamkeit zu schenken?«
»Das war in Henley. Ronnie, der Junge, mit dem ich da war, feuerte dauernd seine College-Mannschaft an, und ich hab mich endlos gelangweilt. Und da hat Stephen mich zu Erdbeeren und Champagner eingeladen, es war einfach großartig. Alle meine Freundinnen waren schrecklich neidisch.« Sie runzelte gedankenvoll die Stirn und blickte Alec dann mit erschrockenen Augen an. »Ach du liebe Zeit. Mir ist gerade was aufgefallen: Das war kurz nachdem Daddy und Annabel geheiratet hatten. Was für eine schreckliche, hoffnungslos dumme Liese ich doch nur gewesen bin. Der war die ganze Zeit nur hinter ihr her, nicht wahr?«
»Das kann gut möglich sein. Sie haben alles Recht, wütend auf ihn zu sein. Er hat
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