01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
gefalteten Hände hinabstarrte.
Geoffrey hatte sie auf geradezu leidenschaftlich fürsorgliche Weise gebeten, in seinem Sessel Platz zu nehmen, was Daisy mit tiefer Rührung erfüllt hatte.
Im Gegenzug hatte Lord Wentwater zwischen ihnen beiden einen Stuhl für Geoffrey hingestellt und ihn darauf gesetzt.
Während er ihn vom Schreibtisch geholt hatte, war sein Blick teilnahmslos über Daisy hinweggegangen. Seine Gedanken waren bei seiner Frau und seinem Sohn, und bei den Geständnissen, von denen er fürchten mußte, daß sie seine ganze Welt zerstören würden. Gesenkten Hauptes hörte er zu. Daisy sah nur sein aristokratisches Profil und eine schmale und dennoch kräftige weiße Hand, die in regloser Anspannung auf der tiefroten Lehne des Sessels ruhte.
»Ich war müde«, fuhr Annabel fort, »und ich hatte Kopfschmerzen.«
Geoffrey unterbrach sie. »Das war dieses schreckliche Lied von James, das dich vertrieben hat! Das über ...«
»Es reicht, Geoffrey«, sagte sie scharf, hob den Kopf und warf einen beschützenden Blick auf ihren Mann. Ihre Augen trafen Daisys, die sich bemühte, in ihren Blick Mitgefühl und Ermunterung zu legen. Es schien Annabel tatsächlich zu beruhigen.
»Egal warum, ich bin eben hinaufgegangen und hab mir von Barstow eine Badewanne richten lassen. Dann hab ich sie entlassen. Ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Ich bin ewig in der Badewanne geblieben. Die Wärme und der Rosenduft vom Badesalz waren unglaublich beruhigend; es war genau das, was ich brauchte. Dann wurde das Wasser langsam kühl. Das kennt man doch, wenn man in einem heißen Bad liegt, dann wird man ganz entspannt und schlaff und träge. Es war fast schon eine Mühe, aus der Wanne zu steigen, und ich war froh um den kleinen Schemel. Ich war dabei, von diesem Schemel auf den Fußboden zu treten und wollte mir gerade ein Handtuch nehmen, da hab ich hinter mir ein klickendes Geräusch gehört, vom Riegel. Ich habe mir schnell das Handtuch umgeworfen und mich umgedreht. Die Tür zum Korridor ging gerade auf. Dieser Mann« - Annabels Stimme brach - »Lord Stephen kam hereingeschlendert. Er hatte die Hand vor sich ausgestreckt, und von einem Finger baumelte der Schlüssel wie eine Art Talisman, ein >Sesam öffne dich<. Er hat sich damit gebrüstet, wie er ihn gestohlen hat. Die Tür ist ja eigentlich immer verschlossen, und mir war gar nicht aufgefallen, daß der Schlüssel gefehlt hat. Dann hat er die Tür hinter sich zugedrückt und ist auf mich zugekommen. Er hatte seinen Morgenmantel an, eine fürchterliche scharlachrote Samt-Geschichte mit goldenen gestickten Drachen und einer Kordel mit goldenen Quasten. Während er auf mich zugegangen ist, hat er sie aufgeknotet. Darunter war er nackt. Ich hab geschrien: >Gehen Sie weg!< und hab das Handtuch noch fester um mich geschlungen, und dabei bin ich rückwärts vor ihm zurückgewichen. Er hat gelächelt. Oh, was war das für ein kaltes, böses Lächeln! Mir wurde ganz anders zumute. Er sagte: >Oh, nein, meine Liebe. Nicht, wenn wir jetzt endlich eine Gelegenheit gefunden haben.< >Gehen Sie weg<, hab ich noch einmal gerufen. Ich konnte nicht mehr weiter zurückweichen; mit den Oberschenkeln war ich schon am Badewannenrand. Ich hab ihm gesagt, ich würde schreien, wenn er noch einen einzigen Schritt näherkommt. >Jemand wird mich hören<, hab ich gedroht, und hab gebetet, daß ich recht hab. >Gleich kommt jemand!< Er hat da nur gelacht und gesagt, das wäre ihm gerade recht, auch wenn es ihm leid täte, um ... um die Verführung gebracht zu werden. Er wollte Rache. Verstehst du, in genau dem Maß, wie er mich wollte. Rache dafür, daß ich ihn damals, vor all den Jahren, abgewiesen habe. In dem Augenblick hat er mich berührt. Hat meine Schulter gestreichelt. Ich hab seine Hand weggeschlagen. Dann hat er mir gesagt, er würde sowieso bald das Land verlassen, und deswegen könnte ihm ein Skandal nichts anhaben. Ihm würde das nichts ausmachen, wenn man ihn mit mir erwischte. Und im Übrigen wäre ihm das Quaken neidischer Gänse immer schon egal gewesen, sagte er. Dann hat er mir das Handtuch aus der Hand gerissen«, fuhr Annabel mit einem trockenen Schluchzen fort. »Er hat es auf den Boden geworfen und die Hand nach mir ausgestreckt. Dann hab ich wirklich geschrien. Ich hatte schreckliche Angst. Und genau in dem Moment ist die Tür aufgegangen, und Geoffrey kam hereingestürmt.«
»Ich hatte sie gehört«, sagte Geoffrey schlicht. »Und sein dreckiges Lachen. Mir war
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