01 - Nacht der Verzückung
um, öffnete die Tür und floh. Sie hatte jeden
Grund, ihm zu misstrauen jetzt mehr als je zuvor. Was hatte er damit gemeint,
dass er sie liebte? Und dennoch, als er sie gebeten hatte, ihm zu vertrauen,
hatte sie sich geneigt gefühlt, genau das zu tun.
***
Als er die Augen
öffnete, war der Raum dunkel. Er war sich nicht sicher, ob es noch dieselbe
Nacht war, in der man ihm die Kugel aus der Schulter entfernt hatte, aber er
bezweifelte es. Er fühlte sich schwach und seine Schulter war steif und
schmerzte höllisch. Als er den Kopf drehte, zuckte er vor Schmerz zusammen. Sie
lag neben ihm, den Kopf zu ihm gewandt und die Augen geöffnet.
»Wenn
das ein Traum ist«, sagte er und lächelte sie an, »sag es mir nicht.«
»Das
Fieber ist vor zwei Stunden zurückgegangen«, sagte sie. »Du hast geschlafen.
Aber jetzt bist du wach. Hast du Hunger?«
»Durst«,
sagte er.
Als sie
vom Bett aufstand und durch das Zimmer ging, um ihm ein Glas Wasser
einzugießen, sah er, dass sie nur ein dünnes Hemd trug. Sie hielt das Glas
fest, während er sich aufrichtete. Er brauchte eine Weile, aber er lehnte ihre
Hilfe ab. Nachdem er das Glas genommen hatte, stopfte sie ihm einige Kissen in
den Rücken, und er ließ sich behutsam zurücksinken.
»Das
Leben als Zivilist macht einen weich, Lily«, sagte er. »Wenn das auf der
Iberischen Halbinsel geschehen wäre, wäre ich schon jetzt wieder zurück auf dem
Schlachtfeld.«
»Ich
weiß«, sagte sie.
Er
klopfte neben sich aufs Bett und nahm ihre Hand, als sie sich setzte. »Ich
vermute«, sagte er, »man hat ihn nicht gefasst.«
Sie
schüttelte den Kopf.
»Du
brauchst keine Angst zu haben«, sagte er, obwohl er sich ohnehin nicht
vorstellen konnte, dass sich Lily aus Furcht verkriechen würde. »Es war eine
dieser sinnlosen und zufälligen Gewalttaten, die sonst immer nur den anderen
widerfahren. Irgendein Verrückter, vielleicht ist ihm in jener Nacht
irgendetwas widerfahren, dass er die ganze Welt gehasst hat, und wir standen
ihm zufällig in der Schusslinie.«
»Es war
nicht das erste Mal«, sagte sie.
Nicht
einen Moment lang missverstand er ihre Worte. Er spürte, wie ihm kalt wurde. Er
hatte seiner eigenen Erklärung keinen Glauben geschenkt, aber er hatte keine
andere Erklärung zu bieten. Warum sollte irgendjemand den Wunsch haben, ihn
oder Lily umzubringen?
»Es ist
schon vorher auf dich geschossen worden?« Der Gedanke erschien ihm völlig
grotesk.
Sie
schüttelte den Kopf. »Nicht geschossen«, sagte sie und erzählte, ihm von der
Gestalt im dunklen Umhang, die sie aus der Entfernung auf dem Rhododendronweg
hatte stehen sehen, und von dem Gefühl, das sie im Wald gehabt hatte, dass sie
dort erneut jemanden im dunklem Umhang gesehen hatte. Sie erzählte ihm von dem
Stein, der von der Klippe fiel, als sie auf dem darunter liegenden Felsen
gestanden hatte. Sie erzählte ihm, wie sie im Hydepark dem Tod ins Auge gesehen
hatte.
»Jemand
will mich umbringen«, endete sie.
»Warum?«
Er runzelte die Stirn. Er wünschte, er würde sich nicht so verflucht schwach
fühlen. Er wünschte, sein Verstand würde nicht so schwerfällig arbeiten.
Kopfschüttelnd
zuckte sie mit den Schultern.
Irgendjemand
wünschte Lily den Tod und hätte sich seinen Wunsch bei drei verschiedenen
Gelegenheiten beinahe erfüllt - einmal auf Newbury.
Auf
einmal griff er nach ihr und bemerkte kaum den stechenden Schmerz in seiner
Schulter. Er zog sie halb über sich und schlang seine Arme um sie. Ihr Kopf lag
an seiner linken Schulter.
»Nein«,
sagte er, als könne er sie Kraft seines Willens schützen, »das wird nicht
geschehen, Lily. Ich schwöre es. Ich habe einmal versagt, dich zu retten. Es
wird nicht noch einmal geschehen.«
»Du
musst diesen Anschlag in Portugal vergessen«, sagte sie und strich ihm mit der
Hand übers Gesicht. »Du hast mir in Vauxhall das Leben gerettet. Alles ist
bereinigt.«
»Niemand
wird dir etwas zuleide tun«, sagte er. »Ich gebe dir mein Wort.« Das
lächerliche Wort eines Mannes, der nicht einmal gewusst hatte, dass ihr Leben
bedroht worden war und auf seinem eigenen Grund und Boden beinahe beendet
worden wäre.
Sie
küsste ihn auf den Hals. »Du musst dich jetzt wieder ausruhen«, sagte sie, »oder
das Fieber kommt zurück.«
»Dann
leg dich neben mich. Ich will dich nicht mehr aus den Augen lassen.«
Sie
ging um das Bett herum und legte sich neben ihn unter die Decke. »Ruh dich aus«,
sagte sie. »Ach hätte nichts sagen sollen, bevor du wieder zu
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