01 - Nicht ohne meine Tochter
sie würde gehorchen. Sie würde hinter mir herspionieren, wenn Da’idschan es wollte. Es verging einige Zeit - zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde. Ich stand mit dem Telefon in der Hand in der Diele, bereit zum Einstöpseln, und wog die Risiken gegeneinander ab. Dann hörte ich, wie sich die Etagentür von Esseys Wohnung öffnete und schloss. Die Haustür öffnete und schloss sich wieder. Ich rannte zum Fenster und presste mein Gesicht gegen die Schutzscheibe, gerade rechtzeitig, um einen Blick von Essey und ihren Kindern zu erhaschen, wie sie die Straße hinuntergingen. Sie verließen das Haus selten auch nur für ein paar Minuten. Dies war wie eine Antwort auf mein Gebet.
Sofort stöpselte ich das Telefon ein, rief Helen in der Botschaft an und erzählte ihr unter Schluchzen die Einzelheiten meiner sich verschlimmernden Zwangslage. »Ich dachte, Sie würden in Ellens Haus wohnen«, sagte Helen, »und versuchen, einige Dinge zu klären.« »Nein. Er hat mich eingeschlossen. Er hat mir Mahtab weggenommen. Ich weiß nicht, wo sie ist und ob es ihr gut geht.« »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Helen. »Ich weiß nicht, ob Sie irgendetwas tun können, bevor ich Mahtab zurückhabe.«, sagte ich schnell. »Ich will nichts tun, womit ich riskieren könnte, sie nicht wiederzusehen.« »Warum sprechen Sie nicht mit Mr. Vincop?«, schlug Helen vor. Sie schaltete ihn in die Leitung ein. Noch einmal erklärte ich, dass ich ein Eingreifen der Botschaft im Augenblick nicht riskieren wollte. Nicht, bis ich wieder mit Mahtab vereint war. »Sie sind unvernünftig.«, sagte er. »Wir sollten kommen und versuchen, Sie da herauszuholen. Wir sollten der Polizei melden, dass Sie dort eingeschlossen werden.« »Nein!«, schrie ich ins Telefon. »Das ist ein Befehl. Ich verlange von Ihnen, dass Sie nichts unternehmen. Versuchen Sie nicht, mit mir in Kontakt zu treten. Tun Sie nichts, um mir zu helfen. Ich werde sobald wie möglich mit Ihnen Verbindung aufnehmen, aber ich weiß nicht, wann das sein wird - morgen, in sechs Monaten, ich weiß es wirklich nicht. Aber versuchen Sie nicht von sich aus, mich anzurufen.« Ich hängte den Hörer ein und fragte mich, ob ich es riskieren konnte, Ellen auf ihrer Arbeitsstelle anzurufen. Aber dann hörte ich einen Schlüssel im Haustürschloß rasseln. Essey und ihre Kinder kamen zurück. Schnell stöpselte ich das Telefon wieder aus, warf es in den Aktenkoffer und stellte ihn wieder dahin, wo Moody ihn stehengelassen hatte.
Plötzlich machte ich mir Sorgen wegen des Fotos, das ich von Moody gemacht hatte, als er Mahtab von mir wegbrachte. Er hatte noch andere Bilder auf dem Film. Wenn er ihn entwickeln ließ, würde er sehen, was ich getan hatte, und wütend werden, davon war ich überzeugt. Ich suchte in seiner Fototasche nach einem anderen Film, um ihn gegen den in der Kamera auszuwechseln, fand aber keinen. Das Foto schien mir jetzt unwichtig, es würde nur Mahtabs Rücken zeigen, als Moody sie im Kinderwagen wegschob. Es lohnte nicht, deshalb Moodys Zorn zu riskieren. Ich öffnete die Kamera, hielt den Film ans Licht und legte ihn wieder ein und hoffte, dass ich ein Foto ruiniert hatte, das für Moody wichtig gewesen war.
Zwei Tage später verließ Essey ohne Erklärung die untere Wohnung und nahm Maryam und Mehdi mit. Ich spähte aus dem oberen Fenster und sah, wie sie in ein Telefontaxi einstieg und mit einem Koffer, ihren ungezogenen Kindern und ihrem Tschador kämpfte. Anscheinend war sie auf dem Weg, Verwandte zu besuchen. Reza war noch im Geschäft. Jetzt war ich also völlig allein.
An manchen Abenden kam Moody nach Hause, an anderen nicht. Ich wusste nicht, welche Variante mir lieber war. Ich verachtete und fürchtete diesen Mann, aber er war meine einzige Verbindung zu Mahtab. An den Abenden, an denen er heimkam, war er mit Lebensmitteln beladen, er war kurz angebunden und mürrisch und wehrte meine Fragen nach Mahtab mit einem knappen »Es geht ihr gut.« ab. »Kommt sie in der Schule gut mit?«, fragte ich. »Sie geht nicht zur Schule.«, sagte er scharf. »Sie lassen sie nicht mehr zur Schule gehen, wegen allem, was du getan hast. Es ist deine Schuld. Du hast alles zerstört, und nun wollen sie sie nicht mehr haben. Du machst immer nur Ärger. Und außerdem bist du eine schlechte Ehefrau. Du schenkst mir keine Kinder mehr. Ich werde mir eine andere Frau nehmen, damit ich einen Sohn bekomme.«
Plötzlich dachte ich an meine Spirale. Was würde
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