01 - Nicht ohne meine Tochter
Mammals Wohnung. Deinetwegen wohnt Mammal jetzt bei seinen Schwiegereltern, weil Nasserine keine Lust hat, sich die ganze Zeit in ihrem eigenen Haus zu verschleiern, und weil du immer da bist. Sie sind es Leid. Unten ist Rezas Wohnung, und die nimmst du auch in Beschlag. Sie sind das auch Leid. Du musst sofort umziehen. Du musst hier heraus.« Moody antwortete ruhig, respektvoll. Natürlich würde er Baba Hadschis »Bitte« Folge leisten. Der alte Mann nickte, er wusste, dass seine Worte die Kraft göttlicher Autorität hatten. Dann, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte, ging er wieder. Moody war wütend auf seine Familie, auf seine eigenen Verwandten. Plötzlich waren Mahtab und ich alles, was er hatte. Jetzt standen wir drei allein gegen die ungerechte Welt.
Wir brachten Mahtab ins Bett, und Moody und ich redeten bis spät in die Nacht. »Ich habe Reza durch die Universität gebracht.«, beklagte er sich. »Ich habe ihm alles gegeben, was er brauchte. Ich habe ihm Geld gegeben, ich habe ihm ein neues Auto gekauft, habe ihm eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Mammal ist gekommen, und ich habe seine Operation bezahlt und alle Vorbereitungen getroffen. Ich habe meiner Familie immer alles gegeben, was sie wollte. Wenn sie mich in Amerika angerufen haben und Mäntel wollten, habe ich ihnen welche geschickt. Ich habe viel Geld für sie ausgegeben. Das haben sie anscheinend vergessen, sie haben alles vergessen, was ich für sie getan habe. Nun wollen sie einfach, dass ich gehe.« Und dann hackte er auf Nasserine herum. »Und Nasserine! Sie ist so dumm - und sie muss sich gar nicht die ganze Zeit verschleiern. Warum kann sie denn nicht wie Essey sein? Sicher, es war schön für uns hier, aber du hast geputzt, gekocht und Amirs Windeln gewechselt Du hast hier alles gemacht. Sie tut nichts, außer Amir alle zwei Monate einmal zu baden, immer wenn ein Eid, ein Feiertag, kommt. Was für eine Mutter und Ehefrau ist sie überhaupt? Aber jetzt hat sie den ganzen Sommer lang Semesterferien und ist zu Hause. Da braucht sie natürlich keinen Babysitter, also heißt es schlicht 'Verschwindet!' Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll, und ich habe kein Geld; wie können sie da verlangen, dass ich ausziehe?« Das waren erstaunliche Worte. Moody hatte sich in seiner islamischen Rechthaberei während der vergangenen Monate über Esseys Lässigkeit beim Verschleiern beschwert und auf Nasserine als ein Musterbeispiel an Tugend verwiesen. Der Wandel in seinen Ansichten war verblüffend. Ich murmelte vorsichtige Worte des Mitgefühls. Wenn ich Nasserine gewesen wäre, hätte ich sicherlich Moody aus meinem Haus gewünscht, aber diese Tatsache erwähnte ich nicht. Ich ergriff vielmehr völlig die Partei meines Mannes, wie er das erwartete. Ich war wieder seine Verbündete, seine unerschrockene Helferin, seine treueste Anhängerin - ich streichelte sein Ego mit der ganzen unehrlichen Schmeichelei, die ich mit meinem schwer arbeitenden Gehirn aufbringen konnte.
»Haben wir denn wirklich kein Geld?«, fragte ich. »Wirklich nicht. Ich bin immer noch nicht bezahlt worden. Sie haben die Formalitäten noch nicht erledigt.« Jetzt glaubte ich ihm, und ich fragte ihn: »Wie sollen wir denn dann umziehen?« »Madschid hat gesagt, dass er für uns jede Wohnung auffinden wird, die wir haben wollen, und er und Mammal werden sich um die Kosten kümmern.« Nur mit größtem Willen konnte ich meine Freude unterdrücken. Für mich war es keine Frage, dass wir aus diesem Gefängnis im Obergeschoss ausziehen würden, denn Moody hatte Baba Hadschi sein Wort gegeben. Außerdem wusste ich jetzt, dass ich nicht mehr befürchten musste, in Ameh Bozorgs Haus zurückkehren zu müssen, denn Moody ließ seinem böswilligen Zorn gegen seine einst so verehrte Schwester freien Lauf. Tatsächlich stand es im Augenblick nicht zur Diskussion, überhaupt bei irgendeinem Verwandten zu wohnen, jetzt, da sie seine Würde so untergraben hatten. Konnte ich zu hoffen wagen, dass Moody beschließen würde, es wäre an der Zeit, uns zurück in die Vereinigten Staaten zu bringen? »Sie verstehen dich nicht.«, sagte ich ihm sanft. »Du hast so viel für sie getan. Aber das ist schon in Ordnung. Das wird sich alles klären. Wenigstens haben wir einander, wir drei.« »Ja.«, sagte er. Er umarmte mich. Dann küsste er mich. Und während der wenigen folgenden Minuten der Leidenschaft gelang es mir, die Gegenwart zu vergessen. In diesem Augenblick war mein
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