01 - Nicht ohne meine Tochter
suchend. Einige der Männer verließen das Haus und gingen das kurze Stück bis zur Hauptstraße, um Näheres zu erfahren. Sie kamen mit der Nachricht zurück, dass die Straßen für jeglichen Verkehr, außer für Rettungsfahrzeuge gesperrt waren. »Heute Nacht kommt ihr aus Geisha nicht heraus.«, sagte jemand. In jener Nacht kampierten wir auf dem Fußboden in Amu Shafiees Haus. Mahtab und ich dankten Gott im Gebet für unser Überleben und wiederholten unsere verzweifelten Bitten um Befreiung.
Die Straßen blieben auch am nächsten Morgen gesperrt, nur ein Krankenwagen kam, der Moody ins Krankenhaus brachte. Während er dort den ganzen Tag lang arbeitete und sich um die Opfer kümmerte, stellten diejenigen von uns, die im Haus geblieben waren, Vermutungen darüber an, weshalb die Flugabwehrraketen in der vergangenen Nacht ausgeblieben waren. Viele Leute vertraten die pessimistische Ansicht, dass die Regierung keine Munition mehr hatte. Wenn das stimmte, würden sicher bald neue Höllenfeuer über uns hereinbrechen. Vielleicht hatten diese Gerüchte sich in der Stadt verbreitet, denn am Nachmittag kam über die Fernsehstation der Regierung eine Stellungnahme, um solche Befürchtungen zu zerstreuen. Nach dem, was ich verstehen konnte, rieten die Kommentatoren der Bevölkerung, sich nicht aufzuregen. Die Regierung probiere eine neue Strategie aus, deshalb waren die Flugabwehrraketen nicht eingesetzt worden. Aber sie sagten nicht, um welche Strategie es sich dabei handelte.
Moody kam am Abend zu Amu Shafiees Haus zurück. Der Geisha-Stadtteil war immer noch für den normalen Verkehr gesperrt, sodass wir eine zweite Nacht dort verbringen mussten. Moody war müde und gereizt, weil er den ganzen Tag lang Narkosen bei zahlreichen Not-Operationen hatte überwachen müssen. Er brachte traurige Nachrichten von unzähligen Opfern mit. Allein in einem Haus, das wegen einer Geburtstagsfeier voller Menschen gewesen war, waren acht Kinder getötet worden.
Reza Shafiee musste seine Rückkehr in die Schweiz verschieben, und an diesem Abend machte er Moody einen Vorschlag. »Du kannst Betty und Mahtab nicht hier lassen.“, sagte er. »Es ist einfach zu gefährlich für sie. Lass sie mich sie mit in die Schweiz nehmen. Ich werde sicherstellen, dass sie bei mir bleiben. Ich werde sie nichts unternehmen lassen.« Was wusste Reza Shafiee von meiner Situation?, fragte ich mich. Plante er wirklich, uns in der Schweiz zu bewachen oder versuchte er nur, Moodys Befürchtung, dass wir fliehen könnten, zu zerstreuen? Es war egal, denn ich war sicher, dass wir von der Schweiz aus in die Vereinigten Staaten zurückkehren konnten. Aber Moody zerschlug diese schwache Hoffnung in einem einzigen Augenblick. »Nein.«, knurrte er. »Auf keinen Fall.« Er würde uns eher den Gefahren des Krieges aussetzen.
Wir verbrachten einen zweiten und dann auch noch einen dritten Tag in Amu Shafiees Haus, bevor die Rettungskräfte den Abtransport der Verletzten und Toten beenden konnten. Jeden Tag wurden die Nachrichten der Regierung mysteriöser. Reporter verbreiteten die Information, der Grund für das Fehlen des Flugzeugabwehrfeuers sei, dass der Iran jetzt hochentwickelte Luft-Luft-Raketen hätte, die den bodengestützten Flugabwehrraketen überlegen seien. Ein Reporter meinte, dass die Iraner überrascht sein würden, wenn sie wüssten, woher diese neuen Raketen kämen. Aus den USA? Aus Russland? Aus Frankreich? Aus Israel? Jeder stellte Vermutungen darüber an, aber Moody war sicher, dass die neuen Raketen aus den Vereinigten Staaten kamen. Wegen des Waffenembargos, sagte er, würden sie vermutlich durch ein drittes Land geschleust, weshalb der Iran höhere Preise dafür zahlen musste. Moody war überzeugt, dass die geldgierigen amerikanischen Waffenhändler einen Kunden nicht ignorieren konnten, der einen so unstillbaren Appetit hatte. Ich wusste nicht, woher die Waffen kamen, und mir war es auch egal; ich betete nur darum, dass sie nicht benutzt werden mussten.
Ein Paar tage später, nachdem wir wieder in Mammals Wohnung zurückgekehrt waren, gab es neue Entwicklungen. Die Regierung kündigte für die Bombardierung des Geisha-Viertels schwere Vergeltungsschläge gegen den Irak an. Jetzt machte sie bekannt, dass es einen Großangriff auf Bagdad gegeben hatte, bei dem eine andere neue Waffe, eine Boden-Boden-Rakete, eingesetzt worden war, die von iranischem Boden aus direkt, ohne ein Flugzeug, Bagdad erreichen konnte. Die Existenz
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