01 - Nicht ohne meine Tochter
Nachmittags rief Essey an, sie war den Tränen nahe. »Ich habe schreckliche Angst.«, sagte sie. »Deine Mutter hat aus Amerika angerufen, und ich habe ihr gesagt, dass ihr umgezogen seid. Sie wollte deine neue Nummer wissen. Ich habe ihr gesagt, ich wüsste sie nicht, und sie wurde schrecklich böse und nannte mich eine Lügnerin. Also habe ich ihr eure Nummer gegeben, aber jetzt weiß ich, dass ich mit Da'idschan Ärger bekommen werde.« »Mach dir darum keine Gedanken.«, sagte ich. »Moody ist nicht zu Hause, es ist schon in Ordnung. Lass uns schnell einhängen, damit meine Mutter zu mir durchkommen kann.« Innerhalb weniger Minuten klingelte das Telefon, und ich riss den Hörer von der Gabel. Am anderen Ende brach Mutters Stimme, als sie Hallo sagte. Mein Vater kam auch ans Telefon. Das Sprechen fiel mir schwer, mit dem großen Kloß in meinem Hals.
»Wie geht es dir?«, fragte ich meinen Vater. »Es geht.«, sagte er. »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.« Seine Stimme klang, als wäre er völlig erschöpft. »Wie geht es dir?«, fragte meine Mutter. »Besser.« Ich erzählte ihnen von unserer neuen Wohnung und meiner größeren Freiheit. »Wie geht es Joe und John?«, fragte ich. »Ich vermisse sie so!« »Ihnen geht es prima, sie werden schon richtige Männer.«, sagte Mom. Joe arbeitete in der zweiten Schicht bei ITT Hancock. John, im zweiten Jahr der Highschool, spielte in der Footballmannschaft. Ich verpasste einen so großen Abschnitt ihres Lebens. »Erzählt ihnen, wie lieb ich sie habe.« »Machen wir.« Wir überlegten uns Zeiten, zu denen es möglich sein könnte, anzurufen. Da Moody dienstags und mittwochs im Krankenhaus war, konnten sie dann anrufen, und wir konnten frei sprechen. Es hieß zwar, dass sie um drei Uhr morgens aufstehen mussten, um den Anruf zu tätigen, aber das war es Wert. Nächste Woche würden sie versuchen, Joe und John mit am Telefon zu haben, sagte Mom.
Am nächsten Tag besuchte ich Essey, um sie zu decken. Dann, als ich nach Hause kam, erzählte ich Moody, dass meine Familie bei Essey angerufen hatte, während ich da war, und dass ich ihnen unsere neue Nummer gegeben hatte. »Fein.«, sagte er. Es machte ihm gar nichts aus, dass ich mit ihnen gesprochen hatte, und er schien sich sogar über den Zufall zu freuen. »Komm zum Tee.«, schlug Chamsey am Telefon vor. Ich bat Moody um Erlaubnis. »Klar.«, sagte er. Was sollte er auch sagen? Er achtete Chamsey und Zaree, und er wollte offensichtlich nicht, dass sie wussten, wie er mich in der Vergangenheit misshandelt hatte.
Der Nachmittagstee an jenem Tag war ein wunderbares Erlebnis. Chamsey und ich freundeten uns schnell an und verbrachten im Laufe des Sommers viele gemeinsame Tage. Normalerweise lebte Chamsey nur zwei Monate im Jahr in ihrem schönen Heim in der Nähe unserer Wohnung, aber sie hatte vor, diesmal ein bisschen länger in Teheran zu bleiben, weil sie und ihr Mann das Haus verkaufen wollten, um so viel wie möglich von ihrem Besitz nach Kalifornien zu schaffen. Chamsey war ganz aufgeregt über die Aussicht, die meisten ihrer Bindungen an den Iran lösen zu können, und freute sich auf die Rückreise nach Kalifornien, doch der Gedanke daran, dass wir unsere schwesterliche Verbindung abbrechen sollten, stimmte uns beide traurig. »Ich weiß nicht, wie ich nach Kalifornien zurückfahren und Betty hier lassen kann.«, sagte sie eines Tages zu Moody. »Du musst Betty mit mir fahren lassen.« Weder Moody noch ich riskierten eine Auseinandersetzung, indem wir auf diese Bemerkung reagierten.
Chamsey bedeutete eine frische Brise in meinem Leben, aber in den ersten Wochen wagte ich nicht, ihr zu viele Details meiner Geschichte anzuvertrauen. Ich wusste, dass ich mich auf ihre Unterstützung verlassen konnte, aber ich machte mir Sorgen um ihre Verschwiegenheit. Ich war schon einmal verraten worden. Sie würde zu Moody laufen und ihn anklagen, dass er mich gegen meinen Willen hier festhielt. Ihre natürliche Reaktion würde Moody wieder gegen mich aufbringen, gerade jetzt, wo ich begann, Fortschritte zu machen. Deshalb genoss ich ihre Freundschaft, hielt mich aber zurück, bis sie nach und nach selbst hinter die Einzelheiten kam. Vielleicht lag es daran, dass ich Moody bei jeder Kleinigkeit um Erlaubnis bitten musste. Jeder Ausflug, jeder Rial, alles musste erst mit ihm abgesprochen werden.
Schließlich fragte sie eines Tages, als ich ihr erzählt hatte, welche Sorgen ich mir um meinen Vater in Michigan
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