01 - Nicht ohne meine Tochter
nicht wusste, ob ich eine iranische Ehefrau spielen konnte. Auf dem Passfoto trug die Frau ihren Tschador, und ihr Gesicht war verborgen. Aber wenn ein Zöllner mich in Farsi ansprach, würde ich Probleme haben. »Bitte beeilen Sie sich!«, sagte ich zu Amahl. »Die Zeit ist gegen mich. Ich möchte so gern meinen Vater sehen. Ich möchte nicht, dass er stirbt, bevor wir nach Hause kommen. Er wird einen besseren Frieden finden, wenn er weiß, dass wir es geschafft haben. Bitte, finden sie schnell einen Weg.« »Ja.«
Thanksgiving im Iran verbringen zu müssen, war ein trauriges Erlebnis, besonders, nachdem ich meiner Familie gesagt hatte, dass Mahtab und ich bei Ihnen sein würden. Gott sei Dank hatte ich Mahtab nichts gesagt! An jenem Donnerstag wachte ich tief deprimiert auf. Wofür sollte ich dankbar sein? In dem Bemühen, meine Stimmung zu heben oder zumindest heil durch den Tag zu kommen, stürzte ich mich in die Vorbereitungen für das Abendessen. Nach Möglichkeit sollte aus dem mageren Vogel ein Meisterwerk entstehen. Der Tag wurde um einiges erträglicher, als nachmittags meine Freunde eintrafen. Für sie war ich dankbar - ein ganzer neuer Kreis wunderbarer, liebenswerter Menschen, denen ein zivilisiertes Leben am Herzen lag, die ungeachtet ihrer Ursprünge eher amerikanisch als iranisch waren. Sie kamen in unserem Heim zusammen, um einen einzigartigen amerikanischen Feiertag zu begehen. Chamsee und Zaree, Alice, Fereschteh- ich liebte sie alle, wie sehr aber sehnte ich mich nach der Heimat.
Meine Melancholie kehrte jedoch nach dem Essen zurück. Nachdem wir den nachgemachten Kürbisauflauf aus einer hiesigen Kürbisart aufgegessen hatten, lehnte sich Moody in einen Sessel zurück, legte seine Hände auf den Bauch und nickte ein, für den Moment ganz mit seinem Los zufrieden, als wäre im Laufe der letzten anderthalb Jahre nichts geschehen, was seine Lebensumstände verändert hätte. Wie ich dieses schlafende Scheusal hasste! Wie schmerzlich ich mich danach sehnte, mit Mutter und Vater, Joe und John zusammen zu sein!
An einem Dienstag rief mein Bruder Jim, der wusste, das Moody dann arbeitete, aus Amerika an. Er erzählte mir, wie Vaters Zustand sich sensationell gebessert hatte, als ich ihm versprochen hatte, dass ich Thanksgiving zu Hause sein würde. »Drei Tage hintereinander ist er aufgestanden und herumgelaufen.«, sagte Jim. »Das hat er davor lange nicht mehr gekonnt. Er ist sogar bis in den Garten gegangen.« »Wie geht es ihm jetzt?«, fragte ich. »Deshalb rufe ich an. Als du Thanksgiving nicht eingetroffen bist, war er deprimiert. Es geht ihm von Tag zu Tag schlechter. Er braucht eine Hoffnung. Kannst du ihn nochmal anrufen?« »Es ist nicht einfach.«, erklärte ich. »Ich kann nicht von hier aus anrufen, weil Moody es auf der Rechnung sieht. Ich muss zu dieser Stelle in der Stadt, und das ist sehr schwierig, aber ich will es versuchen.« »Wirst du mit Mahtab bald kommen können?«, fragte er. »Ich versuche alles, um noch vor Weihnachten nach Hause zu kommen. Aber ich sollte Vater lieber nichts versprechen.« »Nicht, wenn du nicht hundertprozentig sicher bist.«, stimmte Jim zu. Nach dem Anruf war ich verzagt. Ich kam mir wie ein Versager vor, weil ich mein Thanksgiving-Versprechen nicht hatte halten können. Weihnachten! Bitte, lieber Gott, lass mich dann in Michigan, nicht im Iran sein.
Weihnachten vergeht im Iran offiziell unbemerkt. Teherans große armenische Volksgruppe macht aus den Weihnachtsfeiertagen traditionsgemäß ein fröhliches Fest, aber dieses Jahr erhielt sie eine drohende Warnung. Anfang Dezember druckte die iranische Presse einen großen Leitartikel, der die Armenier anwies, das Fest nicht zu begehen. Glück und Frohsinn seien in dieser Kriegszeit so voller Leiden und Schmerzen fehl am Platz, sagte der Ayatollah. Moody war das gleichgültig. Er protzte offen mit seiner Praxis, hatte das Interesse an der iranischen Politik verloren und beschlossen, dass seine Tochter ein schönes Weihnachtsfest haben sollte.
Um mich von meinen Sorgen und Moodys Aufmerksamkeit von meinen häufigeren Stadtausflügen abzulenken, vertiefte ich mich in Weihnachtseinkäufe. »Mahtab hat hier nicht viel Spielzeug.«, sagte ich zu Moody. »Ich möchte, dass sie eine schöne Weihnacht hat. Ich werde ihr eine Menge Spielzeug kaufen.« Moody war einverstanden, und ich machte mich fast täglich zu Einkaufsfahrten auf, manchmal begleitet von Alice, manchmal allein. Auf einer
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