01 - Nicht ohne meine Tochter
ich immer weniger befolgen konnte.
Es gab einen neuen Plan, zusätzlich zu den anderen. Amahl hatte Kontakte zu einem bestimmten Zöllner, der sich dazu bereiterklärte, unsere amerikanischen Pässe aus der Schweizer Botschaft mit Gültigkeitsstempeln zu versehen. Er würde uns gestatten, einen Flug nach Tokio zu nehmen, der jeden Dienstag Morgen ging - während Moody im Krankenhaus arbeitete. Amahl war damit beschäftigt, die Zeitpläne zu koordinieren. Der Zöllner arbeitete Dienstag morgens gewöhnlich nicht, und er versuchte, seine Schicht mit einem anderen zu tauschen. Der Plan klang vernünftig, aber ich fand ihn für den Zöllner ziemlich riskant. »Was ist mit Bandar Abbas?«, fragte ich. »Wir arbeiten dran.«, sagte Amahl. »Haben Sie Geduld.« Meine Frustration war nicht zu übersehen. Die Tränen liefen mir über die Wangen. »Manchmal glaube ich, wir kommen hier nie raus.«, sagte ich. »Doch, Sie kommen raus.«, tröstete er mich. »Und ich auch.« Trotz der Zuversicht seiner Worte musste ich ihn verlassen, musste zurück in die Straßen Teherans, zurück zu meinem Mann.
Die geringsten Begebenheiten über das Leben in dieser kaputten Gesellschaft reizten mich zur Weißglut. Eines Nachmittags sah Mahtab eine Kindersendung im Fernsehen, die aus ein bis zwei Gewaltcomics und einer leidenschaftlichen islamischen Predigt bestand. Nach der Kindersendung kam eine Sendung über Gesundheit, die Mahtab und mich gefangennahm. Sie handelte von der Geburt, und im Laufe der Sendung hat es mich erneut erschlagen, wie absurd diese Gesellschaft war. Der Film zeigte eine echte Geburt. Da war die islamische Mutter, die von männlichen Ärzten versorgt wurde, und die Kamera zeigte ihren nackten Körper ganz - aber Kopf, Gesicht und Hals waren im Tschador verhüllt.
»Willst du dem Weihnachtsmann nicht einen Teller mit Keksen und ein Glas Milch hinstellen?«, fragte ich Mahtab. »Kommt er denn wirklich zu uns? Letztes Jahr ist er auch nicht gekommen.« Mahtab und ich hatten uns schon oft darüber unterhalten, und sie war schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass der Iran zu weit vom Nordpol entfernt war, als dass der Weihnachtsmann die Reise schaffen konnte. Ich sagte ihr, dass er sich in diesem Jahr vielleicht mehr Mühe geben würde. »Ich weiß zwar nicht, ob er kommt, aber vorsichtshalber solltest du ihm etwas hinstellen.«, sagte ich. Damit war Mahtab einverstanden. Sie machte sich in der Küche daran, dem Weihnachtsmann einen Imbiss zu bereiten. Dann ging sie in ihr Zimmer und kam mit einer Anstecknadel von Alice zurück, auf der der Weihnachtsmann mit seiner Frau abgebildet war. »Vielleicht möchte der Weihnachtsmann ein Bild von seiner Frau angucken.«, sagte sie und legte sie neben die Kekse auf das Tablett.
In die Vorbereitungen für den Weihnachtsabend vertieft, trödelte Mahtab mit dem Zubettgehen. Als ich sie endlich noch einmal zudeckte, sagte sie zu mir: »Wenn du den Weihnachtsmann kommen hörst, könntest du mich dann bitte wecken, weil ich mit ihm sprechen möchte?« »Was willst du dem Weihnachtsmann sagen?«, fragte ich. »Ich möchte, dass er Omi und Opa 'Guten Tag!' sagt und ihnen sagt, dass es mir gut geht, weil sie sich dann Weihnachten besser fühlen.«
Ein Kloß im Hals erstickte mich. Der Weihnachtsmann hatte Dutzende Geschenke für Mahtab, aber das, was sie sich am meisten wünschte, konnte er ihr nicht bringen. Wenn er sie doch nur in Geschenkpapier einwickeln und in seinen Schlitten werfen könnte, dann würde Rudolph die anderen Rentiere über die Berge aus dem Iran hinaus, übers Meer und auf das Dach eines bestimmten kleinen Hauses bei Bannister, Michigan führen! Wenn der Weihnachtsmann sie doch nur mit durch den Schornstein nehmen und sie unter den Tannenbaum legen könnte, damit sie ihre Nachricht selbst abliefern könnte! Stattdessen stand uns noch ein Weihnachtsfest im Iran bevor, noch ein Weihnachten weit von Joe und John, noch ein Weihnachten ohne Mutter und Vater.
Moody behandelte bis abends spät Patienten, da ihnen Heiligabend nichts bedeutete. Als er fertig war, fragte ich: »Kann Mahtab morgen aus der Schule fernbleiben?« »Nein!«, raunzte er. »Sie nimmt nicht schulfrei, nur weil morgen Weihnachten ist.« Ich gab keine Widerrede, denn seine Stimme hatte plötzlich einen autoritären Unterton, der mich erschreckte. Er begann wieder einmal, unter plötzlichen Stimmungsschwankungen zu leiden. Einen Augenblick lang war der alte, verrückte Moody wieder da,
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