01 - Nicht ohne meine Tochter
still und dösten ein. Auch mir hätte Schlaf gut getan, aber er wollte nicht kommen. Ich blinzelte mit dem linken Auge, um zu sehen, wie wir vorankamen. Endlose Minuten tickten auf meiner Uhr vorüber. Bei dieser Geschwindigkeit, so wurde mir klar, näherten wir uns mit jeder Minute der Grenze um über zwei Kilometer. Wir fuhren an Straßenschildern vorüber, die unbekannte Städte ankündigten: Kazvin, Takistan, Ziaabad.
Irgendwann weit nach Mitternacht, irgendwo in der iranischen Wildnis zwischen Ziaabad und Zanjan, verlangsamte der Fahrer seine Geschwindigkeit. Meinem wachsamen Blick fiel auf, dass wir auf einen Parkplatz bei einer Tankstelle und einem kleinen Gasthaus hielten. Die anderen luden mich ein, mit hineinzukommen, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ich fürchtete, die Polizei könnte uns mittlerweile suchen. Ich zeigte auf Mahtab, die in meinem Arm schlief, und machte ihnen begreiflich, dass wir im Auto bleiben würden. Die Familie ging in das Restaurant und blieb, so schien mir, lange fort. Eine ganze Reihe Autos parkten vor der Tür. Durch die Glasfenster des Gasthauses konnte ich viele Leute sehen, die eine Pause einlegten und Tee tranken. Ich beneidete Mahtab um ihren Schlaf; auf diese Weise vergeht die Zeit so schön schnell. Wenn ich nur die Augen schließen und einschlafen, und in Amerika wieder aufwachen könnte.
Schließlich kam einer der Männer zum Auto zurück. »Nescafé«, grunzte er und bot mir zu meiner Überraschung eine Tasse Kaffee an. Es war fast unmöglich, in Teheran Kaffee zu bekommen, aber hier war eine dampfende Tasse voll aus einem schäbigen Restaurant mitten in dem unheimlichen Land. Es war starker, scheußlicher Kaffee, aber ich fand es sehr nett von dem Mann, an mich zu denken. Ich murmelte ein Dankeschön und trank. Mahtab rührte sich nicht. Bald kamen alle ins Auto zurück, und wieder entfernten wir uns mit hoher Geschwindigkeit von Teheran in Richtung Grenze. Die Autobahn mit Mittelstreifen wurde zur zweispurigen Straße, die sich bergauf, in die Berge hinein, wand. Schon bald prasselten Schneeflocken gegen die Windschutzscheibe. Der Fahrer stellte die Scheibenwischer und den Enteiser an. Der Sturm wurde stärker, geradezu wild. Die Straße vor uns wurde spiegelglatt, aber der Fahrer minderte seine rasende Geschwindigkeit nicht. Wenn wir das Glück haben sollten, von der Obrigkeit unentdeckt zu bleiben, werden wir sicher bei einem lächerlichen Autounfall umkommen, dachte ich. Zuweilen rutschten wir auf dem Eis, aber der Fahrer bekam das Auto jedesmal wieder schnell in den Griff. Er war ein guter Fahrer, aber wenn wir schnell bremsen müssten, dachte ich, gäbe es keine Hoffnung. Müdigkeit überwand meine Furcht, ich döste unruhig vor mich hin und wurde bei jedem Rucken des Autos wieder halb wach.
Endlich ging die Sonne über einer eiskalten, fremdartigen Landschaft auf. Über uns türmten sich schneebedeckte Berge. Weit im Westen wurden die Gipfel noch höher und abschreckender. Immer noch rasten wir auf der vereisten Fahrbahn dahin. Als sie sah, dass ich wach war, versuchte die Frau, mit mir zu reden. Sie sagte etwas davon, dass sie auch nach Amerika wollte. »Iran ist so schlecht.«, murmelte sie, »Wir können kein Visum bekommen.« Mahtab rührte sich an meiner Seite, sie räkelte sich und gähnte. »Tu so, als ob du nichts verstehst.«, flüsterte ich ihr zu. »Nicht übersetzen.« Sie nickte.
Wir näherten uns Tabriz und verlangsamten die Fahrt, als wir an einen Kontrollpunkt kamen. Mir blieb das Herz stehen, als ich vor uns Soldaten erblickte, die einige Wagen anhielten, während sie andere durchwinkten. Unser Wagen war einer von den wahllos angehaltenen. Ein unverschämter junger Offizier der Pasdar steckte seinen Kopf ins Fenster und sprach mit dem Fahrer. Ich hielt den Atem an, denn Mahtab und ich hatten nur unsere amerikanischen Pässe mit. Standen wir auf einer Liste gesuchter Flüchtlinge? Der Pasdaran sprach kurz mit dem Fahrer und winkte uns dann durch, ohne unsere Ausweise zu kontrollieren. Alle im Auto entspannten sich sichtlich.
Wir fuhren nach Tabriz hinein. Es war kleiner als Teheran, sauberer und frischer. Vielleicht war das auch ein Effekt des frischgefallenen Schnees, vielleicht vermittelte mir diese Stadt aber auch einen ersten Vorgeschmack der Freiheit. Tabriz war ganz und gar Teil der Islamischen Republik Iran, aber es lag weit entfernt vom Zentrum revolutionärer Aktivitäten. Pasdar und iranische Truppen
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