01 - Nicht ohne meine Tochter
Lehrbücher, die alle Vorschriften und Regeln für die Gebete, die heiligen Feiertage und für andere Rituale detailliert aufführten. Das Buch, das mich am meisten interessierte, war eine englischsprachige Übersetzung der iranischen Verfassung. An diesem Morgen, wie auch an den darauffolgenden Tagen, studierte ich es sorgfältig und suchte dabei hauptsächlich nach Passagen über die Rechte der Frauen. In einem Kapitel wurden Eheprobleme diskutiert. Es scheint, als könnte eine Iranerin, die sich im Konflikt mit ihrem Mann befindet, ihren Fall in einem bestimmten Büro in besonderen Ministerium vortragen. Der Haushalt wird untersucht und beide, Mann und Frau, werden befragt. Beide müssen dann der Entscheidung des Schiedsrichters gehorchen, de r- natürlich - ein iranischer Mann ist. Ich verwarf diese Strategie. Der Abschnitt über Geld und Eigentum war eindeutig. Der Mann besaß alles, die Frau nichts. Und Besitz schloss auch die Kinder mit ein. Die Kinder aus einer geschiedenen Ehe lebten beim Vater.
Die Verfassung wollte möglichst alle kritischen Einzelheiten im Leben eines Individuums vorschreiben, sogar die privatesten Angelegenheiten der Frauen. Es war zum Beispiel ein Verbrechen, wenn eine Frau gegen den Willen des Mannes die Empfängnis verhütete. Das wusste ich schon. Moody hatte mir gesagt, dass es ein kapitales Verbrechen war. Dass ich hier darüber las, löste eine Welle des Erschreckens aus. Ich wusste, dass ich mittlerweile vermutlich viele iranische Gesetze gebrochen hatte und dass ich es sicher auch weiterhin tun würde. Aber es war beunruhigend zu wissen, dass ich in meinem Körper, ohne dass Moody es wusste, eine Spirale trug, die mein Leben in Gefahr bringen konnte. Würden sie eine Frau wirklich hinrichten, nur weil sie Geburtenkontrolle betrieb? Ich kannte die Antwort darauf. In diesem Land konnten und würden Männer Frauen alles antun.
Ein anderer Abschnitt der Verfassung rief bei mir noch größeres Entsetzen hervor. Dort wurde erklärt, dass im Todesfall des Mannes die Kinder nicht Eigentum seiner Witwe wurden, sondern seiner Familie gehörten. Wenn Moody starb, würde Mahtab nicht zu mir gehören. Stattdessen würde sie das Mündel von Moodys nächsten lebendem Verwandten werden, von Ameh Bozorg. Ich hörte sofort auf, für Moodys Tod zu beten.
Nirgendwo in der Verfassung des Irans gab es auch nur einen Hinweis auf ein Gesetz, eine politische Linie oder ein öffentliches Programm, das mir einen Funken Hoffnung machte. Das Buch bestätigte nur, was ich instinktiv längst wusste: Ohne Moodys Erlaubnis gab es keinen legalen Weg für Mahtab und mich, gemeinsam das Land zu verlassen. Es gab mehrere Eventualitäten, besonders eine Scheidung oder Moodys Tod, die zu meiner Ausweisung führen könnten, aber dann hätte ich Mahtab für immer verloren. Ich würde eher sterben, als das zuzulassen. Ich war ja nur in den Iran gekommen, um diese schreckliche Möglichkeit zu vermeiden, die jetzt Wirklichkeit geworden war. Im Stillen erneuerte ich meinen Schwur. Ich würde uns hier herausbringen. Uns beide. Irgendwie. Irgendwann.
Meine Stimmung besserte sich etwas, als das neue Jahr nahte. Ich saß nicht länger den ganzen Tag in Mammals Wohnung fest und hatte Freunde in der Schule gefunden. Sie waren willige und dankbare Englisch-Schüler. Und was mich betraf, so würde jedes Wort Farsi, das ich lernte, mir bei der Orientierung inner- und außerhalb Teherans helfen. Ich konnte fühlen, dass 1985 das Jahr sein würde, in dem Mahtab und ich nach Hause zurückkehrten. Ja, ich konnte an nichts anderes mehr denken.
Moody blieb so unberechenbar wie immer, manchmal war er herzlich und fröhlich, manchmal schroff und drohend, aber im Allgemeinen war er damit zufrieden, wie wir unser Leben eingerichtet hatten, und er sprach nicht mehr davon, zu Ameh Bozorg zurückzukehren. Wie ich gehofft hatte, wurde er immer fauler. Bald erlaubte er uns regelmäßig, allein zur Schule zu gehen, und nach und nach machte er sich auch nicht mehr die Mühe, uns mittags abzuholen. Solange wir pünktlich wieder zu Hause ankamen, war er zufrieden. Meine wachsende Mobilität ließ mich hoffen.
Auch Khanom Schahien gab diese Entwicklung im Hinblick auf die Tatsache, dass Moody sich jetzt nur noch selten in der Schule blicken ließ, zu denken. Eines Tages führte sie über Mrs. Azahr eine diskrete Unterredung mit mir. »Wir haben Ihrem Mann versprochen, dass wir Ihnen nicht erlauben würden, das Telefon zu benutzen oder das
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