01 - Nicht ohne meine Tochter
nach Hause kommen, um auf Amir aufzupassen, während sie ihre Kurse an der Universität absolvierte. Die Ausnahme im Stundenplan war der Koran-Unterricht am Donnerstag. Nasserine kümmerte sich dann darum, dass anderweitig für Amir gesorgt war. Ich konnte fast hören, wie sich die Räder in Moodys Kopf drehten. Konnte er mir vertrauen? Er musste es. Oder er musste die Stelle vergessen. »Donnerstags kommst du sofort nach der Koranschule nach Hause.«, sagte er. »Ich werde dich kontrollieren.« »Ja.«, versprach ich. »Okay.«, sagte Moody. Und erneut hellte sich sein Gesicht in der Erkenntnis auf, dass er wieder arbeiten würde.
Ich nutzte meine Freiheit nur zu den seltensten Gelegenheiten aus, nur wenn es das Risiko Wert schien. Moody war verschlagen genug, alle möglichen Verwandten dazu zu bringen, mich auszuspionieren. Vielleicht beauftragte er sie, meine Aktivitäten sporadisch zu überprüfen. Das tat er selbst auch zuweilen. Wenn er einen Tag frei hatte oder früher von der Arbeit kam, tauchte er manchmal in der Schule auf, um uns nach Hause zu bringen. Ich musste ständig auf der Hut sein. Deshalb musste ich mich haargenau an meinen Stundenplan halten und konnte nur zu bestimmten Zwecken davon abweichen.
Eines Tages kam eine Lehrerin, während die Schülerinnen Pause hatten, leise ins Büro und setzte sich neben mich auf die Bank. Ich kannte sie nur vom Sehen, aber sie hatte mir stets ein freundliches Lächeln geschenkt. Wir nickten einander zur Begrüßung zu. Sie blickte sich in dem kleinen Raum um, um sicher zu gehen, dass uns niemand beachtete, und dann flüsterte sie seitlich aus einem Mundwinkel; »Nagu (Nichts sagen), nagu, Mrs. Azhar.« Ich nickte. »Ich spreche mein Mann, Sie,«, sagte sie, nach Worten suchend, »sie will helfen Sie.« In Farsi gibt es keine Pronomen für »er« und »sie«. Iraner bringen die Wörter immer durcheinander. Die Lehrerin senkte ihren Blick auf den Schoß. Eine Hand schlüpfte fast unmerklich aus ihren fließenden Gewändern und streckte sich meiner entgegen. Noch einmal guckte sie auf, um sich zu versichern, dass uns niemand beobachtete. Dann berührte ihre Hand schnell die meine und zog sich zurück. In meiner Handfläche lag ein kleiner Zettel. Darauf war eine Telefonnummer gekritzelt. »Sie anrufen.«, flüsterte die Lehrerin. »Dame.«
Indem ich Mahtab auf dem Nachhauseweg zur Eile antrieb, riskierte ich ein paar Minuten in Hamids Geschäft, um diese geheimnisvolle Spur aufzunehmen. Als ich die Nummer anrief, meldete sich eine englischsprechende Frau, die sich Miss Alavi nannte und erfreut war, von mir zu hören. Sie erklärte, dass sie für den Mann der Lehrerin arbeite, der ihr und ihrer Mutter von meiner Zwangslage erzählt hatte. »Er hat mich, weil ich Englisch spreche und in England studiert habe, gefragt, ob ich irgendwas tun kann, um Ihnen zu helfen.«, berichtete sie. »Ich habe gesagt, ich würde es versuchen.«
Hier war wieder einmal ein Beweis, dass man nicht alle Iraner in die Kategorie der fanatischen Amerikahasser stecken durfte. Miss Alavi war in ihrer Hilfsbereitschaft ohne Falsch, wahrscheinlich setzte sie, indem sie nur mit mir sprach, ihr Leben und ganz bestimmt ihre Freiheit aufs Spiel. »Wie können wir uns sehen?«, fragte sie. »Ich muss warten, bis sich eine Gelegenheit ergibt.« »Wenn Sie die Möglichkeit haben, mich zu treffen, richte ich meine Mittagspause entsprechend ein. Ich werde mit dem Auto dahin kommen, wo Sie gerade sind, und Sie treffen.« »In Ordnung.«, erwiderte ich.
Ihr Büro lag weit von Mammals Wohnung, weit von Mahtabs Schule und ebenso weit von der Koranschule in der Masdsched, in die ich donnerstags ging. Es würde schwierig sein, ein Treffen so zu arrangieren, dass wir Ruhe und genug Zeit haben würden, uns richtig kennenzulernen. Ich hatte lediglich Zweifel über die Motive von Miss Alavi, nicht bezüglich ihrer Verschwiegenheit. Die Ernsthaftigkeit ihrer Worte weckte unmittelbares Vertrauen.
Die Tage schleppten sich langsam dahin, wurden zu Wochen, während ich nach dem sichersten und effektivsten Weg suchte, eine Begegnung zustande zu bringen. Nun, da Moody arbeitete, musste ich entdecken, dass sich die Maschen des Überwachungsnetzes noch enger zusammengezogen hatten. Nasserine war noch wachsamer als mein Mann. Jedes Mal wenn ich zur Tür hereinkam, sah sie sofort auf die Uhr. Doch unausweichlich brach die Struktur von Moodys Überwachungssystem zusammen. In einer Stadt von vier
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