01 - Schatten der Könige
»Unten vor den Türen stehen Wachen, aber die Aufständischen dringen durch die Fenster ein. Auf meinem Rückweg habe ich Kammer getroffen. Er sagt, einige von Vaushs Söldnern schleichen bereits durch das Lagerhaus nebenan. Er sucht auf dem Hinterhof nach einem anderen Ausweg.« Er schaute das Mädchen an und verbeugte sich knapp. »Mylady…«
»Havall, wir haben keine Zeit für Artigkeiten«, unterbrach Mazaret ihn. »Wenn die Lage so ernst ist, wie Ihr sagt, müssen wir sofort gehen.« Er reichte der jungen Frau seine Hand. »Kommt mit uns. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, dass Euch nichts geschieht …«
Ein dumpfer Schlag und ein Schrei veranlassten Mazaret, erneut herumzuwirbeln. Volyn stand über dem am Boden liegenden, stöhnenden Havall, einen Knüppel in der einen und eine kleine Armbrust in der anderen Hand. Sie war direkt auf Mazaret gerichtet.
»Das bezweifle ich ernstlich.« Volyn starrte Mazaret mit glühenden Augen an. »Senkt Eure Klinge, Mylord. Gut. Alael, meine Teure, wir müssen schnellstens fort. Komm zu mir, rasch.« Ohnmächtig musste Mazaret zusehen, wie die junge Frau sich hinter den Hauptmann stellte. »Dreht Euch herum, Mylord«, befahl Volyn und richtete die Armbrust auf Mazarets Gesicht. »Aber sofort, wenn ich bitten darf.«
Mazaret gehorchte. Sein Drang, den Mann anzugreifen, wurde von der Vorstellung in Schach gehalten, wie sich ein stählerner Bolzen in seinen Hinterkopf bohrte. Er hörte, wie Volyn nä- her trat. »Ich gehe und schenke Euch das Leben. Sollte ich Euch wiedersehen, fordere ich mein Geschenk vielleicht wieder zurück.«
Mazaret achtete nicht auf die Worte des Hauptmanns, sondern nur auf seine Bewegungen, lauschte auf das Knarren seiner Lederstiefel, das leise Klirren des Kettenpanzers und das helle Rascheln eines Armes, der ausholte. Er bückte sich, um dem Schlag auszuweichen, und der Knüppel glitt zwar von seinem Kopf ab, erwischte dafür aber die Schulter seines Schildarmes. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn an die Wand neben das Fenster, wo er betäubt zu Boden sank. Seine Schulter schmerzte, und ihm wurde übel, während er verzweifelt versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Volyn murmelte etwas, und im nächsten Moment entfernten sich seine Schritte. Als Mazaret die Augen öffnete und sich mühsam aufrappelte, verschwamm der Raum vor seinen Augen. Er betastete vorsichtig seine Schulter und stellte erleichtert fest, dass sie nicht gebrochen war, trotz der pochenden Schwellung, die sich bereits über dem Schulterblatt bildete. Er trat zu Havall, der immer noch reglos in der Tür lag. Er war ohnmächtig, also hob Mazaret sein Schwert vom Boden auf, zuckte zusammen, als ihm ein jäher Schmerz in die Schläfe fuhr, und machte sich taumelnd an die Verfolgung. Arogal Volyn lernte seine Bestimmung mit dreiundzwanzig Jahren kennen, als er als Unterführer im Siebten Roharkanischen Echelion diente, das in Sejeend stationiert war. Während der Kaiser eines Sommers die Stadt besuchte, patrouillierte Volyn auf einer Palisade am Hafen, als er eine tropfnasse Gestalt sah, die unmittelbar unter ihm aus dem Wasser stieg.
Der Kaiser und sein Tross gingen gerade in einer feierlichen Zeremonie und unter großem Pomp von Bord, und Volyn packte das blanke Entsetzen. Dann jedoch durchströmte ihn ein verblüffendes Hochgefühl, als die Gestalt eine Armbrust hob und direkt auf den Kaiser zielte, der über den Laufsteg zwischen Schiff und Kai schritt.
Volyn reagierte ohne zu Zögern, riss einen Dolch aus seinem Gürtel und schleuderte ihn auf den Meuchelmörder.
Die Waffe bohrte sich zwischen Hals und Schulterblatt, der Schuss der Armbrust ging fehl, und der Bolzen landete im Wasser und versank. Von dem anschließenden Durcheinander, den Glückwünschen und den Ehrungen durch die Stadtväter blieb Volyn nur dieser eine Moment unvergessen, dieses Hochgefühl, das er verspürt hatte, als alles, wirklich alles, in seinen Händen lag.
Das zweite Mal erlebte er einen solch entscheidenden Moment in den finsteren Tagen nach dem Tod des Kaisers in Arengia. Die südlichen Provinzen waren noch nicht gefallen, aber da alle bedeutenden kaiserlichen Armeen von den Mogaun und ihren magischen Verbündeten vernichtet worden waren, handelte es sich nur um eine Frage der Zeit. Arogal Volyn hielt sich in Adnagaur auf, wo er nach einem dreitägigen Ritt nach der Schlacht im Baspur-Tal erschöpft eingetroffen war. Dort waren die Milizen der Roharkani von einer Horde Mogaun und Schwärmen
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