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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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dem bunte Wollfäden bis auf den Boden hinabhingen. Aus den Räumen auf der Vorderseite des Hauses hörten sie die aufgeregten Stimmen der Menschen, die sich auf dem Platz vor dem Haus versammelt hatten. Die Nachrichten von dem Aufruhr hatte sie erreicht, als Mazaret mit Geraine und seinen Männern gerade die oberen Stockwerke des verlassenen Gebäudes betraten, das gegenüber des Hauses des Tuchhändlers lag. Der Bote hatte Geraine gemeldet, eine Schlägerei in einem Schankhaus auf den Straßen des Kaufmannsviertels hätte sich zu einem Krawall ausgeweitet.
    »Die meisten Soldaten des Hunde-Clans halten sich im Bettlerbezirk auf und prügeln sich dort mit den Aufrührern«, führ der Bote fort. Er rang immer noch nach Luft. »Die anderen strömen hierher, um ebenfalls mitzumachen. Einige sprechen davon, das Zollhaus niederzubrennen.«
    »Was ist mit Vaush?«, erkundigte sich Geraine. »Was unternimmt er?«
    Vaush war der Kommandeur der Söldnerlegion.
    »Bisher hat ihn niemand gesehen, aber man munkelt, dass er die Burg mit fast der Hälfte seiner Männer verlassen hat und jetzt irgendwo in der Stadt ist.« Der Bote hustete. »Die Hexer der Mogaun befinden sich ebenfalls noch im Burgfried.«
    Geraine hatte genickt und dann seine Befehle gegeben. Er wollte mit seinen Männern auf den Platz hinuntergehen und versuchen, die Menge zur Vernunft zu bringen, während Havall Mazaret begleitete und Kammer ihren Fluchtweg über den Dachboden sicherte.
    Mazaret blieb vor der Schwelle des Zimmers stehen, das dem Absatz der Haupttreppe am nächsten lag und schnüffelte. Es roch nach Holzfeuer.
    »Diese Narren haben einen Holzhof in Brand gesetzt«, erklärte Havall von der anderen Seite des Flures. »Die Mogaun dürften das Feuer selbst von ihrem Lager aus sehen.«
    »Wie lange dauert es, bis Begrajic den Platz erreicht, falls Vaush ihn bittet, einzuschreiten?«, erkundigte sich Mazaret.
    Havall zuckte mit den Schultern. »Weniger als eine Viertelstunde.« Er rang sich zu einem Entschluss durch. »Mylord, darf ich vorschlagen, dass Ihr über die Dienstbotentreppe in das nächste Stockwerk hinabsteigt, während ich die Haupttreppe nehme und nach Wachen Ausschau halte?« Mazaret hob eine Braue. »Wieso beschleicht mich das Gefühl, dass ich bei diesem Vorschlag wenig mitzureden habe?«
    »Eigentlich habt Ihr gar nichts mitzureden«, erwiderte Havall unbekümmert. Mit diesen Worten trat er vorsichtig auf den Absatz hinaus und verschwand. Mazaret schüttelte den Kopf und wendete sich in die andere Richtung.
    Im vierten Stockwerk bewegte er sich noch leiser als zuvor, während seine Anspannung stieg. Er war hin und hergerissen zwischen der Hoffnung, das Mädchen möge noch dort sein, und der Furcht, die ihm diese Vorstellung einflößte. Die Entdeckung, dass der Spross des Hauses Tor-Cavarill eine Frau war, hatte ihn tief getroffen und seine Unentschlossenheit noch verstärkt. Der Gedanke, eine Frau nur wegen ihrer Abstammung zu töten, stieß ihn ab, trotzdem konnte er ihn nicht vertreiben, so sehr die Scham darüber auch in ihm brannte.
    Er hatte vor drei Kammern auf der Rückseite des Gebäudes gelauscht und hineingesehen, und näherte sich jetzt der vierten, als er wie angewurzelt stehen blieb. Eine Mädchenstimme summte eine einfache Melodie, die plötzlich abbrach. Er stieß rasch die Tür auf und trat ein. Die junge Frau stand in der entferntesten Ecke des Zimmers, hielt eine lange, geschnitzte Gobelinstange in den Händen, und wirkte gefasst und entschlossen.
    »Ich weiß, warum Ihr hier seid«, sagte sie.
    Sie war zierlich und gertenschlank, und langes, goldblondes Haar umrahmte ihr gut geschnittenes Gesicht. Sie hatte gewiss kaum mehr als sechzehn Sommer gesehen, dennoch umgab sie eine würdevolle Aura, die ihr Alter vergessen ließ. Und der offene Blick ihrer klaren Augen war merkwürdig beunruhigend.
    Sie versuchte, Mazaret mit dem Stock zu schlagen, als er sich ihr näherte, doch er fing den Hieb mühelos mit seiner bewehrten Hand ab und wand ihr die Stange aus der Hand. Sie zuckte zusammen, wich jedoch nicht zurück, sondern sah ihm stumm direkt in die Augen. Einen Moment glaubte Mazaret, Suviel vor sich zu sehen, deren missbilligender Blick ihn bis ins Innerste traf.
    Er konnte es nicht. Unter dem Blick des Mädchens verflüchtigte sich jeder Gedanke an Gewalt. Er wollte etwas sagen, um sie zu beruhigen, doch beim Geräusch hastiger Schritte an der Tür drehte er sich um.
    Havall lehnte sich schweratmend an den Rahmen.

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