01 - Schatten der Könige
geflügelter Schrecken zerschmettert worden, welche die Akolythen des Zwielichts beschworen hatten. Verzweifelt hatte er sich nach Osten, zurück nach Cabringa, gewandt, wo er seine Familie suchte. Er fand seinen Bruder Keraun todgeweiht auf dem Krankenbett vor.
Im Zimmer des Siechen erfuhr Volyn, dass die Frau, die sein Bruder zwei Jahre zuvor geheiratet hatte, eine direkte Nachfahrin von Coulabric Tor-Cavarill war, und infolgedessen auch ihr gemeinsames Kind Alael. Trotz seiner schwindenden Kraft hatte Keraun seinem Bruder einige spröde, vergilbte Pergamente gezeigt, die ihren Anspruch stützten, und ihn dann gebeten, seiner Frau und ihrem Kind zu helfen. Da sämtliche männliche Thronfolger des Hauses Tor-Galantai abgeschlachtet worden waren, konnte nur die Blutlinie des Hauses Tor-Cavarill einen rechtmäßigen Monarchen für Khatrimantine stellen, beschwor Keraun seinen Bruder.
Volyn spürte, wie die helle, belebende Fackel der Berufung seine erdrückende Trauer mit ihrem Licht durchdrang und schwor, das Leben seiner Schwägerin und Alaels zu schützen und auf das Ziel hinzuarbeiten, an das Keraun so glühend glaubte.
Danach hatte sich alles gut entwickelt, die Bande der Allianz mit den Rittern des Vater Baumes festigten sich, und sie schmiedeten genaue Pläne für die Rebellion. Dann tauchte kurz vor der entscheidenden Stunde Korregans unehelicher Sohn aus dem Herzogtum von Patrein auf. Volyns Unterstützung für Tauric sollte jeden Verdacht einer bösen Absicht überdecken und scheinbar den alten Zwist begraben. Als Tauric ihm dann anvertraut wurde, stand es Volyn endlich frei, den eigentlichen Zielen der Jäger Kinder entsprechend zu handeln. Wenn die Rebellion erst einmal begonnen hatte, waren die Ritter vom Vater Baum gezwungen, ihnen zu helfen, und falls der junge Tauric starb … Im Krieg ereigneten sich solch tragische Vorkommnisse häufig.
All das erwog Volyn in seinen Gedanken, während er Coulabrics Erbin an der Hand aus der Hintertür des Tuchhändlerhauses und über den vollkommen finsteren Hof führte. Innerlich fröstelte er, wenn er daran dachte, dass er um Haaresbreite die wichtigste Person in ganz Khatrimantine verloren hätte. Mazaret konnte nur Mord im Sinn gehabt haben, und wäre er nur wenige Sekunden länger mit Alael allein gewesen, wäre sie jetzt tot und die Zukunft gehörte einem verkrüppelten, unmündigen Jungen. Das ganze Leben ist ein einziger Kampf gegen die Verderbtheit, dachte Volyn grimmig. Die Luft war von einem beißenden Gestank erfüllt, und er hörte die Schreie vom Platz und das Klirren der Schwerter aus dem dunklen Gebäude nebenan. Volyn packte die heiße Wut bei dem Gedanken, dass sie gezwungen waren, eines der wertvollsten Verstecke für die Jäger Kinder aufzugeben. Diese verblendeten Städter und Vaushs bezahlte Söldner verwandelten Oumetra in einen Hexenkessel aus Bosheit und Groll, und Mazaret und seine Gehilfen hätten sich beinahe diese Situation zunutze machen können.
»Nur Mut, Alael«, warf er leise über die Schulter zurück. »Sobald wir den Kanal überquert haben, sind wir bei Freunden und in Sicherheit.«
In dem spärlichen Licht konnte er ihre Miene nicht erkennen, doch an ihrem schwachen Griff und dem Zögern, mit dem sie ihm folgte, spürte er ihren Widerwillen. Er ließ sich seinen Ärger nicht anmerken, während er das Mädchen über den Hof in die am weitesten von der Hintertür entfernte Ecke zog. Dort fehlten einige Planken in dem massiven Holzzaun, und durch die Lücke sah Volyn gerade noch die Gestalt eines von Geraines Männern. Er bedeutete Alael, stehen zu bleiben und ja keinen Laut von sich zugeben, presste sich an den Zaun und zischte. Nach einem Moment tauchten der Kopf und die Schultern des Mannes in der Lücke auf, und Volyn versetzte ihm einen kräftigen Hieb gegen die Kehle. Der Mann keuchte erstickt und brach zusammen. Sein Körper lag halb im Hof und halb auf der Straße.
»Rasch«, sagte Volyn zu Alael und führte sie durch die Lücke. Dann bückte er sich und zog den bewusstlosen Mann in den Hinterhof, bevor er ihr folgte.
Draußen orientierte sich Volyn kurz und sah den kleinen Steg über den Fluss und den Pfad auf der anderen Seite des Kanals. Alles schien sicher und menschenleer. Er winkte Alael zu sich. »Komm, unsere Freunde erwarten uns.«
Doch sie rührte sich nicht, blieb halb von ihm abgewendet stehen und senkte den Kopf. Erneut wallte Zorn in ihm hoch, und er musste sich zur Ruhe zwingen, als er
Weitere Kostenlose Bücher