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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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auch wenn der winzige Hinterhof nur eine Armspanne maß. Von der Türschwelle aus konnte sie die Hand ausstrecken und die blanke Felswand gegenüber berühren. Das war die Steilklippe, an der man den
Rock des Wirtes
errichtet hatte. Die ursprünglichen Erbauer hatten jedoch einen winzigen Flecken Erde unbebaut gelassen, einen geheimen Garten, kaum größer als ein vierrädriger Karren. Vielleicht hatten diese längst zu Staub verfallenen, namenlosen Gründer von Anfang an beabsichtigt, diesen Platz verborgen zu halten, denn Suviel hatte in ihrer ganzen Zeit in Trevada niemals etwas davon gehört.
    »Die Wände des Wirtshauses halten zwar viel Sonnenlicht ab«, erklärte Babrel, »aber meine kleinen Schösslinge gedeihen trotz des spärlichen Lichts.«
    Er stand neben drei stämmigen jungen Bäumen, die Suviel einen Moment staunend betrachtete, bis sie die Blätter erkannte.
    »Agathons«, sagte sie verblüfft und ging hinüber, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Babrel nickte erfreut. »Während der Plünderungen haben die Diener der Akolythen die vier uralten Bäume auf dem Platz des Reisenden gefällt, aber danach habe ich einige Samen von den oberen Zweigen ausgegraben und hier eingepflanzt. Das ist das Ergebnis.«
    Sanft strich Suviel mit Finger und Daumen über eines der kleinen, gegabelten Blätter. Die Oberseite war dunkel und glänzend, die Unterseite heller und mit feinen Härchen bedeckt. »Ich habe noch nie so junge Agathons gesehen …«
    Sie hielt inne, weil sie plötzlich wie ein Schock eine Erkenntnis traf, als sie sich an den Anblick erinnerte, den der Platz geboten hatte. Sie drehte sich fassungslos zu dem alten Mann herum und sah ihn beunruhigt an.
    »Wo sind die Kinder, Babrel? Es sind sechzehn Jahre verstrichen. Warum gibt es in Trevada keine Kinder?«
    Er sah sie ruhig an. »Bevor ich antworte, Suviel, muss ich wissen, warum du in Gesellschaft einer so verderbten Person reist.«
    Suviel verzweifelte fast, als sie seine Frage hörte, doch im selben Moment, als sie erwog, ihm alles zu verraten, spürte sie die Anwesenheit von Nereks Wächter auf ihrer Schulter und fühlte eine Berührung am Rand ihres Verstandes.
    »Das kann ich dir nicht sagen«, erwiderte sie. »Ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen. Ich bin im Augenblick für niemanden eine Gefahr, schon gar nicht für dich.«
    »Um mich mache ich mir auch keine Sorgen.« Er schwieg eine Weile und schien sich entschieden zu haben, denn er winkte ihr mit dem Finger und ging zu der grauen, verwitterten Wand der Schänke. Sie folgte ihm und beobachtete, wie er einen komplizierten Rhythmus auf ein niedriges, hölzernes Panel klopfte. Eine Sekunde später bewegte sich ein hüfthoher Abschnitt der Vertäfelung und glitt mit einem leisen Kratzen zur Seite.
    »Ich bin's«, sagte Babrel. Er kniete sich umständlich neben die Öffnung und bedeutete Suviel, dasselbe zu tun. »Ich habe eine Freundin mitgebracht.«
    Sie hockte sich neben ihn und sah in der dunklen Öffnung die blassen Gesichter von etwa einem Dutzend in Lumpen gehüllter Kinder. Keines von ihnen zählte mehr als neun oder vielleicht zehn Jahre, und ihre Züge waren ausnahmslos von Hunger und Misstrauen gezeichnet. Eines von ihnen war ein kleines Mädchen von höchstens zwei oder drei, das Suviel erst unwillkürlich anlächelte und dann rasch wegschaute, während die anderen sie schweigend anstarrten.
    »Sie haben etwa vor einem Jahr angefangen, Waisen und bettelnde Straßenkinder Zusammenzutreiben«, erklärte Babrel leise. »Als auch andere Kinder verschwanden, sind die Familien fortgegangen, und jetzt kommen hier keine Kinder mehr zur Welt. Mittlerweile lassen die Akolythen sogar welche heranschaffen. Einige Kinder wurden entführt, andere hungernden Flüchtlingen aus den Armen gerissen, und sie alle wurden nach oben in die Stadt gebracht, hinter eine hohe Mauer, die sie entlang den Häusern über den Hagradio-Treppen errichtet haben.« Er schüttelte den Kopf. »Sie haben sogar die Arkadenbibliothek für Baumaterial geplündert.«
    Suviel beschlich eine angstvolle Ahnung. »Was haben sie mit den Kindern vor?«
    »Das weiß ich nicht. Wenn ich diese hier danach frage, verstummen sie, fast alle jedenfalls. Nach dem, was ein oder zwei von ihnen mir dennoch erzählt haben, scheinen die Akolythen die Große Arena für ihre abscheulichen magischen Versuche zu missbrauchen. Sie schließen die Kinder in merkwürdige eiserne Körbe ein, die innen und außen mit Symbolen und Worten

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