01 - Schatten der Könige
rechts von ihr trat. Sie eilte so leise sie konnte durch die Kammer und folgte ihr.
Suviel tastete sich den Weg durch einen Flur, der nach links abbog und der von dämmrigem Licht erfüllt war, da Wände und Decken von einer schwach leuchtenden Flechte überzogen waren. Es reichte aus, dass Suviel den Korridor vor sich erkennen konnte, und sie hatte ihn gerade betreten, als ein entsetzter Schrei an seinem pechschwarzen Ende gellte. Falin-Nerek rannte panisch auf sie zu, sah Suviel, kam rutschend zum Stehen und bog in einen Seitengang ab. Suviel stürmte hinter ihm her. Zwei halbgeöffnete Türen tauchten vor ihr auf, und sie erkannte, dass dies einer der Eingänge zu dem großen Debattiersaal war. Drinnen ertönte erneut ein Aufschrei, und als sich Suviel zwischen den Türflügeln hindurchzwängte, nahm sie wieder diesen bitteren Geruch wahr wie zuvor, nur war er diesmal stärker und beißender.
Der Debattiersaal war ein großer, ovaler Raum, der an seiner breitesten Stelle etwa hundert Meter im Durchmesser maß, und von dessen Mitte Sitzreihen und Bänke emporstiegen, über welche Balkone hinausragten. Drei Podeste waren auf Plinthen in der Mitte angeordnet, je eines für die beiden Kontrahenten, und das dritte für den Schiedsrichter. Falin kauerte wimmernd am Fuß eines Plinths und starrte in die Schatten. Als er Suviels Schritte hörte, wirbelte er herum, starrte sie einen Moment an, und wies dann mit einer zitternden Hand auf sie.
»Tötet sie! Sie ist der Feind …«Er schaute wieder in die Schatten und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nicht mich, sie! Sie will Euch vernichten! Ich will nur helfen …!«
Jede Faser ihres Körpers, alle Instinkte schrieen Suviel zu, augenblicklich zu flüchten, doch als sie sich umdrehte, sah sie sich einer gewaltigen Gestalt gegenüber, die so schwarz war, dass sie mit dem Schatten unter dem Balkon verschmolz. Eisblaue Augen starrten sie aus einem unförmigen Kopf gnadenlos an, und eine überwältigende Furcht trieb sie weiter zurück, dorthin, wo Falin-Nerek kauerte. Der Blick dieser Augen folgte ihr ein Stück, als untersuchte er sie, und eine Grabesstimme dröhnte in ihrem Kopf.
Eine Hext, Brüder und Schwestern. Eine Hexe!
Ein boshaftes Zischen antwortete ihm von allen Seiten. Suviel blickte zu den Sitzreihen empor und erkannte eine Masse schattenhafter Gestalten, die sich in der Dunkelheit bewegten, und sie aus hunderten von Augenpaaren musterten.
Unser Gast ist eine Hexe,
fuhr die Stimme fort.
Sei willkommen, Sterbliche, und sieh!
Über den unförmigen Schatten vor ihr lief plötzlich ein Strahlen, und er glänzte in metallischem Grün, in Blau und Purpur. Eine schuppige Keule, ein massiger Körper, der dreimal größer war als der des größten Ochsen, den Suviel je gesehen hatte, ein langer, fächerartiger Schwanz und gefaltete Schwingen wurden in dem Licht erkennbar. Ein feister Hals bog sich zum Kopf hinauf, dessen breite, stumpfe Schnauze sich öffnete und zwei Reihen von Reißzähnen enthüllte. Ein einzelnes Hörn entsprang aus dem Nacken und bog sich über den Kopf bis zwischen die Augen. Zwei ähnliche Auswüchse ragten unter dem Unterkiefer hervor, nur dass ihre Spitzen abgebrochen und gespalten waren.
Wir kennen dich. Wir haben die Süße von Hexenfleisch nicht vergessen,
sagte die Kreatur in ihrem Kopf, während jetzt andere monströse Gestalten im Schatten sichtbar wurden.
Kennst du uns auch?
Suviel kannte sie. Es waren die Nachtjäger, die gefürchtetsten Diener der Akolythen. Viele Jahre vor dem Einfall der Mogaun waren die Akolythen angeblich in die tiefsten, dunkelsten Höhlen der Erde vorgedrungen und hatten eine Vielzahl abscheulicher Bestien eingefangen, Überlebende eines längst untergegangenen Zeitalters. Mit diesem Samenstock hatten sie neue Ungeheuer für Krieg und Schrecken herangezüchtet.
Mittlerweile zeigten sich hunderte von ihnen und beobachteten Suviel rastlos aus den Bankreihen des Saales und von den Podesten. Suviel war in der Mitte des Parketts stehen geblieben und sah jetzt einen Alkoven, der in die Sitzreihen direkt oberhalb des breiten Einganges eingelassen war. Zwei unwirkliche rote Flammen warfen ihr dunkles Licht auf eine geschnitzte Statue, die in einem steinernen Thron mit einer hohen Lehne saß.
Ein Bildnis unseres Herrn,
dröhnte die Stimme in ihrem Kopf,
ein Schrein, der mit der Kraft unserer unbeirrten Hingabe brennt.
Auf dem Boden bewegten sich die Nachtjäger unruhig und kreisten Suviel und Falin-Nerek ein.
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