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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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kein Plan.
    Sie wartete einige Minuten, bevor sie Nerek ermunterte, aufzustehen. Die Frau protestierte schwach, ließ sich jedoch durch einen kalten, hohen Korridor führen, dessen Decke auf schlanken Säulen ruhte, von denen einige umgestürzt waren. Das Strahlen der Sterne am Nachthimmel drang durch einige Löcher in der Decke und beleuchtete die in die Wand gemeißelten Reliefs. Sie zeigten zumeist Gesichter mit geschlossenen Augen, die gelassen lächelten.
    Dahinter führte der Korridor weiter über breite, flache Stufen in die Tiefe. Suviel wusste, dass sie bald den Eingang des Debattiersaals erreichen würden. Bis jetzt waren sie keinen Feinden begegnet, und Suviel erblickte auch kein anderes Lebenszeichen in den zerstörten Galerien. Aber sie nahm etwas in der Luft wahr, ein schwaches, bitteres Aroma von gemahlenen Mineralien, wie Bardow sie auch gelegentlich für seine Zaubersprüche benutzte. Vielleicht war es jedoch nur der Geruch des zerstörten Mauerwerks und des uralten Staubes, den sie auf ihrem Weg aufwirbelten.
    Etwa ein Dutzend Schritte vor der Treppe war ein Teil der Wand nach außen weggebrochen oder eingerissen worden, und der große, klaffende Spalt gewährte einen atemberaubenden Blick über die Länder westlich von Trevada. In der Nacht schienen die dichten Wälder von Anghatan wie ein schwarzer Mantel, der sich nach Norden und Süden erstreckte und nach Westen am Druandag-Gebirge endete. In der undurchdringlichen Dunkelheit dahinter lag, wie Suviel wusste, der große Binnensee von Birrdaelin, und dahinter das hügelige Jefren.
    Ihre Sehnsucht nach der Vergangenheit erfüllte sie mit Trauer. Wie wunderschön dies alles im Licht der Sterne aussah. Unwillkürlich erinnerte sie sich an glücklichere Zeiten, an die Sommer, die sie mit ihren Freundinnen Pelorn und Cavaxes in Jefren verbracht hatte. Damals hatten sie die alten Höhlengänge des Nachtbären-Kultes in den südlichen Hügeln erforscht, und einem gastfreundlichen Hexenpferd-Stamm respektvolle Besuche abgestattet.
    Jetzt jedoch durchzogen Straßenräuber und Mogaun-Banden diese Hügel, und die Hexenpferd-Stämme waren auf Befehl der Akolythen bis auf die letzten Angehörigen ausgelöscht worden. »Ich hasse diesen Ort! Warum hast du mich hierher geschleppt?«
    Als Suviel die gereizte Stimme hörte, verlor sie den Mut. Falin hatte den Kampf in Nereks Körper gewonnen.
    »Um dich vor Schaden zu bewahren.« Sie wandte sich von dem Spalt ab. Ihr Gefährte stand mit gesenktem Kopf an der gegenüberliegenden Wand und presste eine Hand auf den Bauch, als empfände er Schmerzen, während er mit der anderen sein Gesicht betastete.
    »Dir wollen sie Schaden zufügen!«, gab er zurück und hob dabei die Stimme. »Ich stehe treu zu meinem Gebieter, der auch ihr Gebieter ist.«
    Suviel überquerte mit zwei raschen Schritten den Gang und packte Falin-Nerek am Arm. »Senke deine Stimme!«, zischte sie. »Sonst zwingst du mich, dich mit einem Bann zu belegen.« Der andere drehte leicht den Kopf und sah sie an. Das Licht der Sterne glitzerte in seinen boshaften Augen.
    »Ich hasse diesen Ort! Und dich hasse ich auch!«
    Unvermittelt schlug er mit beiden Händen zu und stieß Suviel zurück. Sie versuchte, sich umzudrehen, um den Fall abzufangen, doch ihre linke Hand und ihre Hüfte prallten zuerst auf den Steinboden. Der Schmerz nahm ihr den Atem, aber sie unterdrückte einen heftigen Fluch und rappelte sich auf. Sie sah gerade noch, wie eine schlanke Gestalt in wilder Flucht die Treppe hinunterstürmte und verschwand. »Was für ein verfluchter Narr!«, knurrte sie und machte sich an die Verfolgung.
    Am Fuß der Treppe herrschte pechschwarze Dunkelheit. Suviel blieb stehen, trat dann an die Wand und folgte ihr. Dies hier war eine Art Versammlungshalle für die Studenten gewesen und verfügte über eine Zwischendecke, die man über eine Wendeltreppe erreichen konnte. Sie erinnerte sich daran, dass es auf beiden Ebenen verschiedene Ausgänge gab. Dann hörte sie ein Geräusch, ein Kratzen von Schritten, und sie erstarrte. Eisige Stille herrschte in dieser undurchdringlichen Schwärze. Sie sammelte sich, zwang sich, sich mit ihrem Bewusstsein vorzutasten und versuchte, ihre Umgebung zu erkennen. Erst war nichts zu sehen, dann jedoch konnte sie allmählich feine Umrisse ausmachen, die Konturen von Pfeilern, Nischen und Türen, die kaum mehr als dunkle Schatten in der tintigen Schwärze waren.
    Da bewegte sich etwas, eine Gestalt, die durch eine Öffnung

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