01 - Schatten der Könige
gebunden und war dann zu Yasgurs Armee galoppiert. Dort hatte man ihn an Händen und Füßen gebunden und ihn auf die Ladefläche dieses übel riechenden Karrens unter das tonnenförmige Verdeck geworfen. In der folgenden Stunde hatte man Gilly von einem Ort zum anderen kutschiert. Er sah die Belagerung zwar nicht, aber er hörte sie, das Klirren der Waffen, die Schreie der Sterbenden, den Jubel der Siegreichen, und das dumpfe Gemurmel bei Rückschlägen.
Schließlich brandete ein Triumphschrei auf, und der Wagen fuhr ruckend an. Als der Karren jetzt weiter rumpelte, ließen die heftigen Stöße der Räder auf Kopfsteinpflaster schließen, was bedeutete, dass sie sich in Besh-Darok befanden.
Eines der Tore muss offen sein, dachte Gilly. Einen Moment fragte er sich, ob Mazaret und Kodel sich ergeben hatten. Aber der Jubel war dem rhythmischen Trott einer marschierenden Armee gewichen. Das klang nicht nach einem Siegeszug.
Der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen, und einen Moment später wurde die Segeltuchbahn vor dem Eingang zurückgeschlagen, als jemand mit einer Laterne auf den Karren kletterte. »Das sieht wahrlich nicht sehr gemütlich aus, Südmann«, sagte eine bekannte Stimme. »Aber wenigstens liegt Ihr weich, eh?«
Knochige Finger packten seine Schulter, rollten ihn herum und halfen ihm auf. Der Knebel wurde aus seinem Mund entfernt.
»Erst dachte ich, dass diese Häute schlimmer stinken als du, alter Mann«, knurrte Gilly. »Jetzt bin ich nicht mehr ganz so sicher.«
Atroc lachte und schüttelte den Kopf. »Ihr versteht Euch auf Beleidigungen, Meister Gilly. Einer Eurer Vorfahren war zweifellos ein Mogaun. Doch jetzt hört.« Er zog die Laterne und einen kleinen Sack zu sich heran, und setzte sich auf ein Fellbündel. »Mein Gebieter ist ebenso ein Gefangener wie ihr, in seinem eigenen Kopf versklavt vom Geist seines Vaters, diesem bösartigen, alten Gauner. Ich will meinen Prinzen zurückholen, doch dafür brauche ich Eure Hilfe, Südmann. Also?« Gilly schaute ihn einen Moment staunend an. »Ich wäre längst entkommen und bei meinen Freunden, hättet Ihr mich nicht aufgehalten. Ich kann nicht einmal sagen, wie Ihr das angestellt habt, denn Ihr seid so klapprig wie eine alte Bergziege! Und jetzt verlangt Ihr von mir, dass ich Euch helfe?«, sagte er verächtlich. »Ihr könnt mir helfen, indem Ihr meine Hände losbindet und Eure Kehle dazwischen schiebt…«
Atroc schnaubte. »Ich habe mich geirrt, was Eure Vorfahren angeht. Es müssen wohl Morastschweine darunter gewesen sein. Wohlan, trinkt etwas hiervon, das wird Eure Laune vielleicht ein wenig heben.«
Er nahm einen kleinen Weinschlauch aus dem Sack und füllte einen irdenen Becher, den er Gilly hinhielt. Der beäugte den Becher misstrauisch und schüttelte den Kopf. »Nach Euch.« Beleidigt setzte Atroc den Becher an die Lippen und trank einen tiefen Schluck. Dann hielt er Gilly das Gefäß hin, damit er trinken konnte. Das volle Bukett des Weines überraschte den Händler. »Ihr seid sehr misstrauisch«, bemerkte Atroc.
»Und aus gutem Grund.«
»Es tut mir Leid, dass Ihr nicht die Augen und Ohren habt, zu sehen und zu hören, was Euch bevorsteht.« Er beugte sich vor. »Lernt zu vertrauen, Südmann. Es gibt einen ehrenwerten Grund für das, was ich tue, also müsst Ihr auf mich setzen …«
Draußen schrie jemand Atrocs Namen, und die Segeltuchbahn vor dem Eingang raschelte. »Vor allem jetzt!« Atroc stopfte den Knebel wieder fest in Gillys Mund und erstickte seinen wütenden Protest, bevor er sich umdrehte und den Neuankömmling begrüßte.
Obwohl Hegrouns Geist im Körper Yasgurs steckte, schien die Persönlichkeit des toten Häuptlings den ganzen Karren zu erfüllen. Die glühende grüne Aureole war zu einer schwachen Aura verblasst. Mit den Schnallen und Riemen, dem versengten Eisen des Brustpanzers, dem dichten, drahtigen, schwarzen Haar und dem roten Blutfleck auf der Handaxt, die in dem Gürtel steckte, stellte Hegroun den Inbegriff eines blutrünstigen Kriegers dar. Er streifte Gilly mit einem beiläufigen, boshaften Blick, und richtete ihn dann auf Atroc.
»Nun, alter Mann, ist mein Opfer bereit?«
Gilly zwinkerte heftig. Opfer?
»In einem Moment, o Mächtiger. Erst muss ich noch etwas holen …«Atroc kroch zum Ende des Karrens, beugte sich hinaus und redete mit jemandem, der ihm half, eine Art Tonne in den Wagen zu heben. Gilly erkannte das dicke eiserne Gitter und den orangen Schein der Glut. Ein Feuerkorb! Atroc keuchte
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