01 - Schatten der Könige
Zelt. Kleine Hängelampen warfen ihr Licht auf drei Reihen von Pritschen. In eisernen Feuerkörben auf kleinen Gestellen glühte Weihrauch, mit dessen Aroma man versuchte, Insekten fernzuhalten und die Ausdünstungen der Krankheit zu überlagern. Trotz des intensiven Duftes nahm Keren einen bitteren Geruch und den Gestank von abgestandenem Schweiß wahr. Zwei weitere Leute kümmerten sich um die Kranken, eine Frau und ein Mann, die vor Erschöpfung gebeugt im Zelt umherschlurften. Raal Haidar deutete auf einen grob gezimmerten Tisch, auf dem Schüsseln, Säckchen und Tuchfetzen lagen.
»Wasch dir die Hände und bring mir die Bandagen«, sagte er, trat in einen Gang und blieb vor einer Pritsche stehen. Keren warf einen Blick nach draußen auf die schlummernde Gestalt Suviels am Feuer, seufzte und ging dann gehorsam zu dem Tisch. Einige der Säckchen kamen ihr bekannt vor. Sie gehörten Suviel. Die meisten waren offen, und ihr Inhalt war fein säuberlich um einen Mörser mit Stößel und andere medizinische Instrumente herum geordnet. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, suchte sie in den Stofffetzen nach langen Streifen, riss einige der sauberen Lumpen durch, und trug ein großes Bündel zu Raal Haidar.
Der große Mann untersuchte gerade einen Jungen, dessen nackter Arm von zahllosen Geschwüren übersät war. Als Keren ihn sah, fuhr ihr der Schrecken bis ins Mark.
»Das … das ist die Schwarze Seuche«, stammelte sie.
»Hmm. Normalerweise endet sie mit dem Tod.«
»Normalerweise? Dagegen gibt es kein Mittel! Bei Der Mutter, wir riskieren alle …« Er richtete sich auf und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Die Verbände, bitte.« Wortlos reichte sie ihm eine Handvoll Bandagen und beobachtete, wie er ein kleines, blaues Glas aus seiner Robe nahm, das er entkorkte. Es enthielt eine rosafarbene Paste, die er auf drei der Stofffetzen schmierte, welche er anschließend auf den Arm des Jungen legte und sie mit weiteren Verbänden befestigte. Als er fertig war, wusch sich Raal Haidar die Hände, ging zum nächsten Patienten und bedeutete Keren, ihm zu folgen.
Sie arbeiteten fast eine Stunde so weiter, und während dieser Zeit zeigte der Große Zauberer, wie sie ihn insgeheim nannte, nicht ein einziges Mal auch nur einen Schimmer von Mitgefühl oder Mitleid für die Menschen, die er behandelte. Er bewegte sich geschickt und selbstsicher, doch sein Blick blieb kalt. Keren fragte sich, ob er die Kranken und Verwundeten überhaupt als menschliche Wesen betrachtete. Einmal versuchte sie, mit ihm zu sprechen, doch er schnitt ihr mit einer knappen Handbewegung das Wort ab, ohne sie dabei auch nur eines Blickes zu würdigen. Dennoch redete sie weiter, bis er sich schließlich aufrichtete. »Genug«, sagte er. »Warum?«, verlangte sie zu wissen, während er zum Tisch ging und seine Hände reinigte. Er schüttelte das Wasser von seinen langen, blassen Händen und trocknete sie sorgfältig ab. »Weil unsere Zeit hier zu Ende ist.«
Fast im gleichen Moment hörte sie Stimmen von draußen, darunter auch Suviels. Keren warf die restlichen Bandagen auf den Tisch und stürmte an dem unbeteiligt dastehenden Raal hinaus. Zwei Söldner mit gezückten Schwertern hielten die benommene, schlaftrunkene Suviel zwischen sich fest, während vier weitere sich dem Krankenzelt näherten. Unter ihnen befanden sich der General und Domas, dem sichtlich unwohl war. Keren warf ihm einen finsteren Blick zu, während der General zwei Schritte vor ihr stehen blieb.
»Legt die Waffen nieder, und es wird Euch nichts geschehen«, befahl er.
Sie ignorierte seinen Befehl und bleckte die Zähne. Ihre Hand ruhte auf dem Griff ihres Schwertes. »Lass meine Gefährtin los, dann wird auch dir nichts passieren.«
Der General quittierte ihre Aufforderung seinerseits mit einem zynischen Lächeln. »Du begreifst sicher, dass es sinnlos ist, dich uns zu widersetzen, Weib. Die Bedingungen meiner Übereinkunft betreffen nur die Auslieferung des Kräuterweibes. Ob wir dich töten, spielt dabei keine Rolle.« »Keren«, sagte Suviel, »kämpfe nicht gegen sie. Es gibt andere Möglichkeiten …«
Kerens Blick ruhte unverwandt auf dem Gesicht des Generals. »An wen hast du uns verkauft, Söldner?« Sie spie das letzte Wort förmlich aus. »An diese Priester, ja? Dann komm und hol uns, denn ich werde mich weder ihnen noch dir unterwerfen.«
Ihr Schwert sang metallisch, als sie es aus der Scheide riss. Der General schüttelte den Kopf. »Ungestüm, doch
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