01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
niederschrieb. »Wenn sie zu deinem Clan gehört hätte, könnte man vermuten, dass er sie längere Zeit beobachtet hat, bevor er zuschlug. Aber sie war doch nur auf Besuch hier in London.«
James blies auf die Tinte, dann blickte er auf. »Ja, das stimmt, aber sie hielt sich schon seit einiger Zeit in England auf. Sie bewohnte ein Herrenhaus am Rande von London und hat uns ein paar Mal besucht. Falls er uns beobachtet hat, könnte er sie durchaus gesehen haben.«
Das konnte sein, aber Alexander war nicht überzeugt. Etwas störte ihn an diesem Mord. Wenn der Jäger jemand anders attackiert hätte, hätte er mit weit mehr Widerstand rechnen müssen, da die Clanmitglieder strikte Order hatten, nirgends allein hinzugehen. Und selbst wenn es dem Jäger gelungen wäre, einen von ihnen allein abzupassen, wären die Hilfeschreie mit Sicherheit gehört worden …
»Hier, bitte sehr. Das sind die ersten Namen, die mir in den Sinn kamen. Es kursieren schon seit einiger Zeit Gerüchte, dass der sogenannte ›Bluträuber‹ kein Mensch sein soll. Meine Leute haben gehört, wie diese Personen hier das Wort ›Vampir‹ erwähnten.«
Alexander nahm die Liste, aber er bezweifelte, dass sie viel helfen würde. »Unser Jäger wird wohl kaum herumgehen und schwatzen.«
»Das stimmt, aber es ist ein Anfang.«
Alexander faltete das Papier zusammen und steckte es in seine Tasche. Dann straffte er die Schultern. Es gab viel zu tun, und die Zeit war knapp.
»Bis heute Abend.«
James nickte und trat hinter seinem Schreibtisch hervor. »Wenn Henry mit den Informationen von Scotland Yard zurückkommt, können wir vielleicht mehr tun. Ich bin sicher, dass ich dir bis morgen eine bessere Verdächtigenliste geben kann.«
»Gut. Dann bis später.«
»Alexander?«
Alexander, der bereits an der Tür stand, drehte sich noch einmal um. »Ja?«
»Sei vorsichtig.«
»Das bin ich immer.«
11. Kapitel
Alexander betrat die National Gallery am Trafalgar Square, in Gedanken bei dem Mann, der ihn dort treffen sollte.
Heute früh war ein Bote mit der Nachricht gekommen, dass James noch im Laufe des Tages eine aktualisierte Verdächtigenliste vorbeischicken würde. Alexander hatte spontan beschlossen, Kiril zu bitten, den Informanten zur National Gallery zu schicken, wo er den Vormittag zu verbringen gedachte.
Kiril hatte ihn zwar seltsam angeschaut, aber nichts weiter dazu gesagt - was auch gut war, denn Alexander hatte nicht die Absicht, seinem Weggefährten etwas von seiner neu entflammten Kunstleidenschaft zu verraten.
Es war seltsam, aber zum ersten Mal seit hundert Jahren verspürte Alexander wieder das Bedürfnis, sich Bilder anzusehen, sich mit Kunst zu umgeben. Vielleicht hatte es ja etwas mit der Musik zu tun, die er bei den Belanows gehört hatte. Die Melodie wollte ihn auch jetzt noch nicht loslassen, sie war von einer Leidenschaft durchdrungen gewesen, von einer Lebendigkeit, die er selbst, so schien es ihm, seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt hatte.
Sie ließ ihn nicht mehr los. Was hatte Angelica Belanow nur an sich, dass er sie unbedingt besitzen wollte? Diese Frau war ebenso stark wie schön, und Alexander ertappte sich selbst viel zu oft dabei, wie er an sie dachte.
Mit einem Gefühl wehmütiger Nostalgie schritt er an den altvertrauten Bildern vorbei, entdeckte den typischen Stil und die Farbgebung eines Rubens wieder. Alexander musste an die Zeit denken, die er mit dem Maler in Italien verbracht hatte. Die Erinnerung daran war so lebendig; es war kaum vorstellbar, dass seit jenen sorglosen Tagen voller Leben und Farbe bereits dreihundert Jahre vergangen sein sollten. Rubens war von einem beneidenswerten Einfallsreichtum gewesen, von einer Vitalität, die sich von seinen Händen auf den Pinsel und direkt auf die Leinwand zu übertragen schien. Und Alexander hatte ihn beneidet, aber auch seine Gesellschaft genossen.
Langsam ging er von Raum zu Raum und ließ sich von der Schönheit der Bilder verzaubern: Rembrandt, Raphael, Tizian, Claude … ihre Kunst umhüllte ihn, drang in sein Herz. Es juckte ihn in den Fingern, selbst nach dem Pinsel zu greifen. Doch als er sich dem Raum näherte, in dem das Bild ›Tod‹ hing, wurde er mit einem Schlage wieder nüchtern.
Seine Schritte hallten auf dem Marmorfußboden wider, als er sich dem Gemälde näherte. Ob es immer noch an derselben Stelle hing? Oder war es verblasst, wie seine Seele?
Er richtete den Blick auf die Ecke, in der es hängen sollte, doch statt des
Weitere Kostenlose Bücher