01 - Winnetou I
Körper?“
Dieselbe Antwort.
„Sei aufrichtig zu mir! Wenn man vom Tode erwacht, kann man keine Unwahrheit sagen. Habt ihr vier Männer uns wirklich retten wollen?“
Ich nickte zweimal.
Da machte er eine verächtliche Handbewegung und rief im Ton sittlicher Empörung aus:
„Lüge, Lüge, Lüge! Selbst am wieder geöffneten Grabe Lüge! Hättest du mir die Wahrheit gestanden, so wäre mir vielleicht der Gedanke gekommen, daß du anders, daß du besser werden könntest, und ich hätte Intschu tschuna, meinen Vater, gebeten, dir das Leben zu schenken. Aber du bist eine solche Fürbitte nicht wert und mußt sterben. Wir werden dich sehr aufmerksam pflegen, damit du sehr schnell wieder gesund und kräftig wirst, die Qualen, welcher deiner warten, lange auszuhalten. Als kranker, schwacher Mann sehr schnell zu sterben, das ist keine Strafe.“
Länger konnte ich die Augen nicht offenhalten; ich schloß sie wieder. Hätte ich doch reden können! Sam, der sonst so listige Sam Hawkens, führte unsere Verteidigung in einer nichts weniger als scharfsinnigen Weise; ich hätte ganz anders gesprochen als er. Als ob er diesen meinen Gedanken erraten hätte, stellte er jetzt dem jungen Apachenhäuptling vor:
„Aber wir haben doch bewiesen, klar und unwiderleglich bewiesen, daß wir auf eurer Seite gewesen sind. Eure Krieger sollten gemartert werden, und um dies zu verhindern, hat Old Shatterhand mit ‚Blitzmesser’ gekämpft und ihn besiegt. Er hat also sein Leben für euch gewagt und soll nun zum Lohne dafür gemartert werden!“
„Ihr habt mir nichts bewiesen, denn auch diese Erzählung war nichts als Lüge.“
„Frag Tangua, den Häuptling der Kiowas, welcher sich noch in euren Händen befindet!“
„Ich habe ihn gefragt.“
„Was sagte er?“
„Daß du lügst. Old Shatterhand hat nicht mit ‚Blitzmesser’ gekämpft, sondern dieser ist, als wir euch überfielen, von unsern Kriegern getötet worden.“
„Das ist eine großartige Schlechtigkeit von Tangua. Er weiß, daß wir heimlich auf eurer Seite standen, und will sich nun dafür rächen, daß er uns in das Verderben bringt.“
„Er hat es mir beim großen Geiste zugeschworen, also glaube ich ihm und nicht euch. Ich sage dir dasselbe, was ich soeben Old Shatterhand gesagt habe: Würdet ihr ein offenes Geständnis abgelegt haben, so hätte ich für euch gebeten. Klekih-petra, welcher mein Vater, Freund und Lehrer gewesen ist, hat die Gesinnung des Friedens und der Milde in mein Herz gelegt. Ich trachte nicht nach Blut, und mein Vater, der Häuptling, tut stets, um was ich ihn bitte. Darum haben wir von allen den Kiowas, welche wir noch immer hier gefangenhalten, noch keinen getötet; sie mögen das, was sie getan haben, nicht mit ihrem Leben, sondern mit Pferden und Waffen, Zelten und Decken bezahlen. Wir sind mit ihnen noch nicht ganz einig über den Preis, doch wird der Abschluß bald zustande kommen. Rattler ist Klekih-petras Mörder; er muß sterben. Ihr seid seine Genossen, dennoch würden wir vielleicht Nachsicht haben, wenn ihr aufrichtig wäret; da ihr dies aber nicht seid, so werdet ihr sein Schicksal teilen.“
Das war eine lange Rede, so lang, wie ich aus dem Munde des schweigsamen Winnetou später nur selten und nur bei den wichtigsten Veranlassungen wieder eine gehört habe. Unser Schicksal lag ihm also wohl mehr am Herzen, als er eingestehen wollte.
„Wir können uns doch unmöglich als eure Feinde erklären, wenn wir eure Freunde sind“, entgegnete Sam.
„Schweig! Ich sehe ein, daß du mit dieser großen Lüge auf den Lippen sterben wirst. Wir haben euch bisher mehr Freiheit gelassen als den anderen Gefangenen, damit ihr diesem Old Shatterhand Hilfe leisten konntet. Ihr seid dieser Nachsicht nicht wert und werdet von jetzt an strenger gehalten werden. Der Kranke braucht euch nicht mehr. Folgt mir jetzt! Ich werde euch den Ort anweisen, den ihr nun nicht mehr verlassen dürft.“
„Das nicht, Winnetou, nur das nicht!“ rief Sam erschrocken aus. „Ich kann mich unmöglich von Old Shatterhand trennen!“
„Du kannst es, denn ich befehle es dir! Was ich will, das wird geschehen!“
„Aber wir bitten dich, uns wenigstens – – –“
„Still!“ unterbrach ihn der Apache im strengsten Ton. „Ich will kein Wort dagegen hören! Werdet ihr mit mir gehen, oder soll ich euch durch meine Krieger binden und fortschaffen lassen?“
„Wir befinden uns in eurer Gewalt und sind also gezwungen, zu gehorchen. Wann dürfen wir Old
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