01 - Winnetou I
Shatterhand wiedersehen?“
„Am Tage eures und seines Todes.“
„Eher nicht?“
„Nein.“
„So laß uns, ehe wir dir jetzt folgen, von ihm Abschied nehmen!“
Er ergriff meine Hände, und ich fühlte seinen Bartwald auf meinen Gesicht, denn er gab mir einen Kuß auf die Stirn. Parker und Stone taten ebenso; dann gingen sie mit Winnetou fort, und ich lag einige Zeit allein, bis einige Apachen kamen und mich forttrugen, wohin, das wußte ich nicht, da ich zu schwach war, die Augen noch einmal aufzuschlagen. Noch indem sie mich trugen, schlief ich wieder ein.
Wie lange ich da geschlafen habe, weiß ich nicht. Es war der Genesungsschlaf, welcher immer tief zu sein und sehr lange zu währen pflegt. Als ich erwachte, wurde es mir gar nicht schwer, die Augen zu öffnen, und ich war bei weitem nicht mehr so schwach wie vorher. Ich konnte die Zunge einigermaßen bewegen und mit dem Finger in den Mund langen, um diesen von dem geronnenen Blut und dem Wundeiter zu reinigen.
Ich befand mich zu meinem Erstaunen in einem gemachähnlichen, viereckigen Raum, dessen Seiten aus steinernen Mauern bestanden. Er erhielt sein Licht durch die Eingangsöffnung, welche durch keine Tür verschlossen war. Mein Lager befand sich in der hinteren Ecke. Man hatte da mehrere Grizzlybärenfelle übereinandergelegt und eine sehr schöne indianische Santillodecke über mich gebreitet. In der Ecke neben der Tür saßen zwei Indianerinnen, jedenfalls mir zur Pflege und zugleich Bewachung, eine alte und eine junge. Die alte war häßlich, wie die meisten alten, roten Squaws, was eine Folge der Überanstrengung ist, da die Frauen alle, selbst die schwersten Arbeiten verrichten müssen, während die Männer nur dem Krieg und der Jagd leben und die übrige Zeit untätig verbringen. Die junge war schön, sogar sehr schön. Europäisch gekleidet, hätte sie gewiß in jedem Salon Bewunderung erregt. Sie trug ein langes, hellblaues, hemdartiges Gewand, welches den Hals eng umschloß und an der Taille von einer Klapperschlangenhaut als Gürtel zusammengehalten wurde. Es war an ihr kein Schmuckgegenstand zu sehen, etwa Glasperlen oder billige Münzen, mit denen die Indianerinnen sich so gern behängen. Ihr einziger Schmuck bestand aus ihrem langen, herrlichen Haar, welches in zwei starken, bläulichschwarzen Zöpfen ihr weit über die Hüften herabreichte. Dieses Haar erinnerte auch an dasjenige von Winnetou. Auch ihre Gesichtszüge waren den seinigen ähnlich. Sie hatten dieselbe Sammetschwärze der Augen, welche unter langen, schweren Wimpern halb verborgen lagen, wie Geheimnisse, welche nicht ergründet werden sollen. Von indianisch vorstehenden Backenknochen war keine Spur. Die weich und warm gezeichneten vollen Wangen vereinigten sich unten in einem Kinn, dessen Grübchen bei einer Europäerin auf Schelmerei hätte schließen lassen. Sie sprach, jedenfalls um mich nicht aus dem Schlaf zu wecken, leise mit der Alten, und als sie dabei den schön geschnittenen Mund zu einem Lächeln öffnete, blitzten die Zähne wie reinstes Elfenbein zwischen den roten Lippen hervor. Die feingeflügelte Nase hätte weit eher auf griechische als auf indianische Abstammung deuten können. Die Farbe ihrer Augen war eine helle Kupferbronze mit einem Silberhauch. Dieses Mädchen mochte achtzehn Jahre zählen, und ich wäre jede Wette darauf eingegangen, daß es die Schwester Winnetous sei.
Diese beiden Squaws waren damit beschäftigt, einen weißgegerbten Ledergürtel mit roten Stichen und Arabesken zu verzieren.
Ich richtete mich auf, jawohl, ich richtete mich auf, und dies wurde mir gar nicht sehr schwer, während ich, ehe ich zum letzten Male eingeschlafen war, vor Schwäche nicht einmal die Augen hatte öffnen können. Die Alte hörte diese meine Bewegung, sah zu mir her und rief, indem sie auf mich deutete:
„Uff! Aguan inta-hinta!“
Uff ist der Ausdruck des Erstaunens, und aguan inta-hinta heißt: er ist munter. Das Mädchen blickte von ihrer Arbeit auf und erhob sich, als sie mich sitzen sah, um sich mir zu nähern.
„Du bist wach geworden“, sagte sie zu meinem Erstaunen in einem ziemlich geläufigen Englisch. „Hast du einen Wunsch?“
Ich öffnete wohl den Mund, um zu antworten, schloß ihn aber wieder, denn es fiel mir ein, woran ich nicht gedacht hatte, nämlich, daß ich nicht sprechen konnte. Aber ich hatte mich aufsetzen können, da war es vielleicht möglich, daß es auch mit der Stimme besser ging. Ich machte also den Versuch und
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